Arktis: Fünf Grad zu warm

Forscher schlagen Alarm: Die Eisschmelze treibt die Temperaturen weiter hoch. Ein gefährlicher Teufelskreis beginnt.

Washington/Bremerhaven. Der Jahresbericht der US-Wetterbehörde für 2007 bietet eher trockene Kost: Zahlenreihen und Unmengen an Daten.

Aber Klimaforscher finden den Report ganz und gar nicht langweilig - er versetzt sie in helle Aufregung: Die Temperaturen in der Arktis lagen im vergangenen Jahr um fünf Grad über dem langjährigen Durchschnitt. Das ist ein neuer Rekordwert, der dramatische Folgen haben kann.

Der Klimawandel scheint einen Punkt erreicht zu haben, an dem er sich selbst verstärkt. Das auf dem Meer schwimmende, rapide schmelzende Polareis beeinflusst zwar kaum den Meeresspiegel, da es ja auch schon vorher im Wasser lag. Es verschwindet aber ein Großteil der weißen Fläche, die bisher einen Teil der Sonnenstrahlung zurück ins Weltall reflektiert hat. Diese Strahlung wird nun vom dunklen Meer aufgenommen, es erwärmt sich schneller. Diese Erwärmung wiederum beschleunigt die Schmelze und setzt einen kaum noch zu beeinflussenden Teufelskreis in Gang.

Neben den massiven Auswirkungen auf die Tier- und Pflanzenwelt beschleunigt diese Entwicklung auch die Eisschmelze auf dem Festland Grönlands. Die Wissenschaftler der US-Wetterbehörde haben herausgefunden, dass auf Grönland im vergangenen Jahr gut 100 Kubikkilometer Eis geschmolzen sind - das ist das doppelte Volumen des Bodensees. Die Schmelze auf dem Festland wiederum hat Auswirkungen auf den Meeresspiegel. In der Arktis steigt er um rund zwei Millimeter pro Jahr.

Die Forscher des Alfred-Wegener-Instituts für Polar- und Meeresforschung in Bremerhaven teilen die Besorgnis ihrer US-Kollegen. Sie sind am Freitag mit ihrem Forschungsschiff Polarstern von einer bisher einzigartigen Reise zurückgekehrt: Dem Eisbrecher war es als erstem Forschungsschiff gelungen, den Nordpol komplett zu umrunden. Noch nie außer im vergangenen Jahr gab es in der Arktis so wenig Eis wie in diesem Sommer. "Nun ist die Frage, ob sich dieser Trend wie in der Vergangenheit wieder umkehrt oder ob es schon zu spät dafür ist", sagt Professorin Karin Lochte.

Ihr Institutskollege Professor Hans-Wolfgang Hubberten hat derweil bei Bohrungen in der westsibirischen See weitere beunruhigende Beobachtungen gemacht. Der Permafrostboden am Meeresgrund, unter dem gewaltige Mengen des Treibhausgases Methan gespeichert sind, schmilzt ebenfalls. "Er ist löchriger als wir angenommen haben", sagte Hubberten unserer Zeitung. "Große Mengen Methan gelangen durch das Meer in die Atmosphäre."

Auch dies ist eine Tatsache, die Wissenschaftler bisher nur als theoretisches Schreckensszenario für die Zukunft diskutiert hatten. Methan ist ein ungefähr 20 mal gefährlicheres Treibhausgas als CO2. Wenn der Permafrostboden in der Arktis großflächig schmilzt, wären die Folgen kaum auszumalen. "Das ist eine potenzielle Klimabombe", stellt Hubberten klar.

Die vom Menschen gemachte Warmzeit in der Arktis hat rein wirtschaftlich gesehen auch positive Seiten: Die bisher unbefahrbare Nordwestpassage nördlich von Kanada wird im Sommer immer öfter eisfrei sein, so dass sich Schiffsfahrten zwischen Europa und Fernost um Wochen verkürzen lassen. Zudem gibt das Tauen der Permafrostböden bisher unerreichbare Rohstoffe unter der Arktis frei. Nicht umsonst streiten sich derzeit Russland und andere Nordstaaten um Gebietsansprüche in der Region.

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