Analyse: Richter spüren den Druck der Medien

Eine Umfrage unter Juristen zeigt, dass Presseberichte Auswirkungen auf Urteile haben können.

Mainz. "Die Richter sind unabhängig und nur dem Gesetze unterworfen." So steht es in Artikel97 des Grundgesetzes. Diese Unabhängigkeit zielt vor allem in eine Richtung: Die Politik darf den Richtern ihre Entscheidung nicht diktieren. Doch natürlich sind auch Richter Einflussnahmen ausgesetzt - durch die Öffentlichkeit, durch die Medien. Das Institut für Publizistik der Universität Mainz hat 447 Richter und 271 Staatsanwälte befragt: Wie beurteilen die Juristen den Einfluss von TV- und Zeitungsberichterstattung auf die von ihnen geführten Verfahren?

Die Ehrlichkeit der Befragten - wenn auch unter dem Mantel der Anonymität der Umfrage - überrascht. Zwar ist der Einfluss der Medienberichte auf die Schuldfrage, ob also der Angeklagte verurteilt wird, gering. Nur drei Prozent der Richter, aber immerhin neun Prozent der Staatsanwälte sprechen bei dieser Frage den Medien einen Einfluss zu.

Doch bei der Strafhöhe steigt nach Ansicht der Juristen die publizistische Wirkung erheblich: 25Prozent der Richter und 37Prozent der Staatsanwälte sehen diesen Einfluss. Auch die Beeinflussung von Zeugen durch Medienberichte (Grafik) dürfte sich oft auf das Urteil auswirken.

Vor dem Hintergrund der Studie bestätigt sich, dass sich ein offensiver Umgang etwa von Angeklagten mit der Presse auszahlen kann. Erinnert sei zum Beispiel an das Düsseldorfer Mannesmann-Verfahren, in dem der Angeklagte Klaus Esser und seine Anwälte gern vor Mikrofone und Schreibblocks traten, um ihre Sicht der Dinge zu schildern. Richterin Brigitte Koppenhöfer, die die Angeklagten im ersten Verfahren freisprach, meinte damals verbittert, Verteidigung und Angeklagte hätten versucht, die Presse zu instrumentalisieren. Koppenhöfer damals: "Das mag ihr Recht sein. Dass das auch von Seiten der Staatsanwaltschaft geschieht, war mir neu. Das halte ich für unangebracht."

Die Studie bestätigt: Die Medien sind tatsächlich eine vierte Gewalt, auch wenn dies nicht ins Raster der klassischen Aufteilung staatlicher Gewalten in Gesetzgebung, Verwaltung und Rechtsprechung passt. Und: Richter sind keine Automaten, in die man Daten und Fakten einspeist, um am Ende ein objektives Urteil ausgespuckt zu bekommen. Auch sie sind nur Menschen und Einflüssen von außen unterworfen.

Die Erhebungen der Uni Mainz beziehen sich auf die Auswirkungen von Medienberichten auf konkrete Prozesse. Doch Richter und Staatsanwälte leben natürlich nicht auf einem anderen Stern, verfolgen auch sonst die öffentliche Debatte - zum Beispiel über Jugendkriminalität...

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