Alte Heimat neu entdeckt

Was früher nach Mottenkiste klang, feiert seine Wiedergeburt – als lokale Bierspezialität, aber auch als Kampf um einen alten Bahnhof.

Berlin. Junge Hamburger kochen Labskaus, Düsseldorfer im Exil tragen den Fernsehturm auf dem T-Shirt mit sich rum, und in Stuttgart demonstrieren Menschen für einen alten Bahnhof. Lokale Biere wie "Rothaus Tannenzäpfle" und "Astra" sind Kult, und selbst im Fernsehen wird es heimelig: von der "Nordtour" durch die Dörfer der Tiefebene über die Bayern-Soap "Dahoam is Dahoam" bis zum Eifel-Krimi.

Heimat, ein Begriff, der nach dem Zweiten Weltkrieg in der rechtskonservativen Ecke schlummerte, ist wieder salonfähig geworden. Ausgerechnet ein Grüner, der Schleswig-Holsteiner Robert Habeck, hat ein Buch über Patriotismus geschrieben. Im vorigen Jahr lud die Partei gar zu einer Konferenz zu "Heimat" ein. Früher undenkbar, deshalb bekam die Veranstaltung sicherheitshalber einen distanzierenden Untertitel: "Wir suchen noch".

Heimat kann der Ort der Kindheit sein oder auch der Ort, an dem man begraben sein möchte. Im Deutschen klingt das Wort besonders, wie "Weihnachten" oder "Mutter". Der Begriff wurde lange juristisch gebraucht, das Gefühlige kam später, wie Kulturwissenschaftler Heinz Schilling erklärt. Seine Definition lautet: "Heimat ist eine Sehnsuchtslandschaft der Gefühle."

Auch die heftigen Demonstrationen gegen das Bahn-Projekt "Stuttgart 21" sieht er als einen "Kampf um Heimat". Schilling zitiert den Schweizer Autor Peter Bichsel: "Heimat ist, wenn ich mich darüber aufrege."

Die Renaissance des Begriffs begann demnach in den 70er Jahren, als der lokale Eigensinn eine neue Protestkultur gegen die zentrale Planungen wachsen ließ. Dazu passt, dass Edgar Reitz 1979 mit seiner Trilogie "Heimat" über ein Dorf im Hunsrück anfing (siehe Kasten).

Heute ist die Sehnsucht nach den Wurzeln und Lokalkolorit ein weltweites Phänomen. Schilling nennt als Beispiel einen französischen Supermarkt, der in Australien nach lautstarken Prostesten regionale Produkte von dort ins Angebot nehmen musste. "Die Globalisierer fangen selbst an, zu regionalisieren." So erklären sich die Nürnberger Bratwürste bei McDonald’s.

Zeichen der neuen Liebe zur Heimat sind die vielen Läden mit lokalen Spezialitäten und Schnickschnack - von Einheimischen für Einheimische. So hat der "Hessen-Shop" nicht etwa in der Frankfurter Innenstadt eröffnet, sondern im studentisch geprägten Bockenheim. "Unsere Kunden sind Frankfurter", sagt Inhaber Norbert Rojan. Touristen würden den Sprachwitz auf vielen Accessoires gar nicht verstehen. Etwa, wenn auf der Fußmatte in Anspielung auf den iPod "I Gude" steht. So wünschen sich Frankfurter einen guten Tag.

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