Als Rentner ist er ein Versager

Gerd Ruge wird am Samstag 80 Jahre alt und arbeitet munter weiter – mal wieder an einem Film über Russland.

Köln. Die überflüssigste Frage, die man Gerd Ruge stellen kann, ist, was er denn in seinem Ruhestand treibe. Natürlich bereitet er einen neuen Film vor, natürlich geht es um Russland. "100 Kilometer rund um Moskau" ist der 15.Film in der 1993 begonnenen ARD-Reihe "Gerd Ruge unterwegs" (Ausstrahlung Ende 2009). Aber bereits im November 2008, wenn in den USA der nächste Präsident gewählt wird, wird Ruge wieder als Experte im ARD-Studio zu sehen sein.

Ein Leben lang Journalist - auf keinen trifft das besser zu als auf den gebürtigen Hamburger. Als Rentner sei er allerdings ein Versager, wird seine Frau in einem Film-Porträt des WDR zitiert. Morgen feiert er 80. Geburtstag, da immerhin arbeitet er nicht. Er werde "nichts Besonderes" unternehmen, sagt Ruge mit Ruge-typischem Understatement, "vielleicht mit den Enkelkindern schwimmen gehen". Vier Enkel hat Ruge, seine Tochter Elisabeth ist Verlegerin in Berlin, sein Sohn Boris arbeitet im Auswärtigen Dienst.

Hält Journalismus jung? "Nicht unbedingt", sagt er. Dabei ist er der lebende Beweis, und mit dem Rauchen hat er nach 60 Jahren immerhin auch aufgehört. Sicher arbeite er weniger als zu Korrespondenten-Zeiten, doch "es kommt eine ganze Menge zusammen". Er dreht Filme, schreibt Bücher, hält Vorträge, sitzt in Jurys. Gerd Ruge ist einer der beiden aktiven Rundfunkjournalisten in Deutschland, deren berufliche Karriere noch vor der Gründung der beiden deutschen Staaten 1949 begann. Der andere ist Peter Scholl-Latour. Ihre Ausbildung begannen sie 1948, ihre Karriere währt länger als D-Mark, DDR und Kalter Krieg.

Nun ist aus Ruge, pardon, ein Methusalem geworden. Aber das Wiedersehen bereitet immer noch Freude, auch weil er so bemerkenswert uneitel geblieben ist - und umso mehr, da das Fernsehen auf bisweilen krampfhafte Weise jung sein will. Ruge stellt einfachen Menschen einfache Fragen, begegnet ihnen mit Respekt und gibt vor der Kamera nicht den allwissenden Welterklärer. Er beobachtet, notiert, kommentiert beiläufig. Ein Reporter alter Schule, gewiss, aber nicht altmodisch, außer man hält Neugier und Ausdauer für unmodern. Das Beste ist: In seinen Reportagen ist trotz professioneller Routine nichts von geheucheltem Interesse zu spüren.

Seine Nachfolger haben es aber auch schwer. Fundierte Auslandsberichterstattung wird heutzutage, sieht man mal von Olympia-, Kriegs- und Katastrophenzeiten ab, leicht als störend empfunden. "Es ist einfach notwendig", sagt Ruge, "dass im Fernsehen auch die Lage in der Welt detailliert geschildert wird."

Mehrere Korrespondenten hatten zuletzt kritisiert, dass Auslandsthemen an den Rand gedrängt werden, dass Interesse und Fachkenntnisse in den Heimatredaktionen sinken. Auch Ruge sagt, in den vergangenen Jahren seien die Sender immer stärker zu einer "farbigen Berichterstattung" übergegangen. Die Balance müsse wieder hergestellt werden, fordert er. "Der politische Kern muss erhalten bleiben." Es würde nicht schaden, wenn das Fernsehen auf seine jung gebliebenen Alten hört.

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