Afghanistan: Der Friedensstifter in Uniform ist nur noch Illusion

Es herrscht Krieg in dem Land am Hindukusch. Deshalb muss die Bundesregierung klären, ob deutsche Soldaten töten dürfen.

Düsseldorf. Der 4.September 2009 geht als unheilvoller Tag in die Geschichte der Bundeswehr ein. An diesem Tag hat sie in Afghanistan ihre Unschuld verloren und die Bundesbürger endgültig der Illusion beraubt, dass der Wiederaufbau des Landes allein mit friedlichen Mitteln zu leisten ist. Die Bombardierung der beiden Tanklaster, die radikal-islamische Taliban kurz zuvor gekapert hatten, und der damit verbundene Tod von Dutzenden Zivilisten löste zudem ein politisches Erdbeben aus.

Die Bundesregierung ist Opfer ihrer eigenen Informationspolitik geworden. Viel zu lange hat sie die Wahrheit über ihre vermeintliche Stabilisierungsmission verschwiegen, nebulös mit der "Verteidigung unserer Freiheit am Hindukusch" argumentiert und das ungeliebte Wort vom Krieg gescheut.

Dabei bauen die rund 4500 deutschen Soldaten in Afghanistan längst nicht mehr nur Brunnen und Schulen, auch wenn sich das in der Öffentlichkeit so schön verkaufen lässt. Stattdessen wird die Truppe im einst so ruhigen Norden tagtäglich mit Hinterhalten, Raketenangriffen und Feuerüberfällen konfrontiert.

Gemessen an den Verheerungen, die der Krieg an den Körpern und Seelen der Beteiligten anrichtet, müssen die Debatten in Berlin den Afghanen suspekt erscheinen. So zum Beispiel die Frage, ob mit dem Bombardement gezielt Taliban getötet werden sollten. So meinte ein Mitglied der afghanischen Untersuchungskommission, dass "alle Regierungs- und internationalen Truppen so gehandelt" hätten.

Fakt ist: Seit diesem verhängnisvollen Septembertag sind die Taliban nicht mehr so präsent in der Region, ist die Zahl der Angriffe auf durchschnittlich einen pro Tag zurückgegangen. Nicht zuletzt deshalb reibt sich so manche Nation, die Soldaten am Hindukusch hat, verwundert die Augen ob der Vorgänge im Land des drittgrößten Truppenstellers.

Die große Frage ist eben nicht mehr, ob der Befehl zur Bombardierung richtig, teilrichtig oder falsch war. Die Fragestellung ist bedeutender: Sollen deutsche Soldaten wieder töten oder nicht? Das gilt es zu klären. Die Chimäre von der klinisch perfekt aus dem Bundestag heraus geführten Armee der Staatsbürger in Uniform hat sich innerhalb eines Wimpernschlages in Luft aufgelöst. In Afghanistan herrscht Krieg.

Ob es den meisten Parlamentariern nun schmeckt oder nicht - die Frage ist nicht mehr, ob die jeweilige Taschenkarte des Soldaten der jeweiligen Bedrohung noch Rechnung tragen kann, sondern allein, ob wir es als Nation vertreten können zu töten. Lautet die Antwort Ja, dann kann der Einsatz - wie auch immer - fortgeführt werden. Lautet sie Nein, so müssen die Soldaten nach Hause - schnellstens.

Das muss die Bundesregierung, vor allem aber der Bundestag klären - für die Soldaten, aber auch für die Bürger, die dem Engagement zunehmend ablehnend gegenüberstehen. Ein Dilemma, denn der Rückhalt in der Bevölkerung ist 2010 so wichtig wie nie zuvor. Denn in ihrem neunten Jahr geht die Mission der internationalen Schutztruppe Isaf in ihre entscheidende Phase. Die Taliban erstarken zunehmend. Der Wiederaufbau stockt. Korruption und Drogenanbau florieren und scheinen tragende Säulen im Staatsgefüge zu sein.

Im Streit um die Bewertung der Tanklaster-Bombardierung geht fast unter, dass die neue Bundesregierung in den kommenden vier Jahren ein Szenario für den Abzug schaffen will. In den meisten Isaf-Ländern ist der Einsatz zutiefst unpopulär und eine innenpolitische Bürde. Auch US-Präsident Barack Obama peilt einen Rückzug seiner Soldaten ab 2011 an. Dennoch oder gerade deshalb sieht er die Notwendigkeit eines strategischen Neuansatzes. Er plant eine Eskalation des Krieges. Es gilt, El-Kaida-Terroristen auszuschalten, die Taliban zu bekämpfen sowie die Armee auszubilden, damit diese den Kampf weiterführen kann.

Unklar ist, inwieweit sich Deutschland am großen Finale beteiligt. Bislang zeigt sich die Regierung gegenüber der Forderung nach weiteren Soldaten immun. Sie muss jedoch am 28.Januar Farbe bekennen, wenn in London alle Länder ihren Beitrag auf den Tisch legen werden.

Aber es droht weiteres Ungemach: Isaf-Oberkommandeur Stanley McChristal will die regionalen Zuständigkeiten auflösen, welche die Arbeit der Bundeswehr bislang auf den Norden beschränkt. Würde die Einteilung wegfallen, müssten die Deutschen im schlimmsten Fall auch im weitaus heftiger umkämpften Süden an die Front. Bis dahin sollte die Bundesregierung ihren innenpolitischen Kriegsschauplatz geräumt haben. Eine Neudefinition des Afghanistan-Mandats ist dann allemal nötig.

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