Am Rande der Großstadt Zu Besuch auf Hengsten: „Wir sind 14“

In der Hofschaft am Rande Beyenburgs leben 14 Menschen in fünf Häusern. Sie lieben die Idylle und die Nachbarschaft.

Wuppertal. Wer nach Hengsten möchte, den leitet sein „Navi“ mitunter über Remscheid-Lüttringhausen. Irgendwann tauchen dann Schilder Richtung Barmen auf, doch Barmen scheint so weit weg wie nur irgendwas. Über Straßen geht’s, die das Wort Straße gar nicht mehr im Namen tragen, sondern so heißen, wie die alten Hofschaften und Weiler. Wefelpütt, Spieckern oder eben Hengsten selbst. Namen wie „Trompete“ tauchen im Display auf und manchmal ist dort auch nur noch „Unbekannte Straße“ zu lesen und die Anweisung lautet einfach: Geradeaus. Die Straße ist eng, doch Gegenverkehr gibt es ohnehin nicht. Schon ein gutes Stück, bevor das erste der Handvoll Häuser auftaucht, steht Heinz-Werner Putzke am Wegesrand und winkt, um den WZ-Besuch in Empfang zu nehmen. „Halten Sie mal an, ich möchte Ihnen einfach mal die Aussicht zeigen.“

Am Rande der Großstadt: Zu Besuch auf Hengsten: „Wir sind 14“
Foto: est

Wuppertal ist hier sowas von gar nicht Großstadt. Der Blick fällt über Wiesen, Hügel und vor allem viel Grün. „Jetzt haben sie grad die drei Berge hinter sich gebracht“, erklärt Putzke. Gangolfsberg , Stoffelsberg, Nöllenberg. Die könne sich aber keiner merken. „Wir Einheimische sagen deshalb nur erster Berg, zweiter Berg, dritter Berg.“ Putzke betont das „Einheimische“ mit einem Schmunzeln. Denn Putzke ist eigentlich Zugezogener, wie er später erklärt. „Aus Beyenburg“. Das liegt, wenn man von der anderen Seite anreist, zwar fast um die Ecke, ist aber irgendwie auch weit weg.

In Hengsten angekommen, gibt es erstmal Heimatkunde. „Es heißt richtig ,auf Hengsten’“, sagt Putzke und lacht. „Musste ich auch lernen.“ Damals, als der heute 64-Jährige seine Frau Marion, eine Ur-Hengsterin kennenlernte. „Wir leben hier in der sechsten Generation“, erklärt die 63-Jährige. Etwas skeptisch sei das Paar aber damals in der Nachbarschaft betrachtet worden. „Unverheiratet zusammengezogen, das machte man eigentlich nicht“, erinnern sich die beiden.

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Heinz-Werner Putzke über das Leben auf Hengsten

Hengsten ist vor allem eins — übersichtlich. „Wir sind 13“, sagt Heinz-Werner Putzke. Dann zählt er gemeinsam mit Karl Bangen (66), dem Dorfältesten, aber noch mal durch. „Doch 14.“ Davon drei Kinder. Fünf Häuser gibt es: Hengsten 1 bis 5. Hengsten 6 eigentlich auch, aber das zähle man nicht mehr wirklich zur Hofschaft, deren Historie sich bis ins 16. Jahrhundert zurückverfolgen lässt. Die Stadt habe sich das irgendwann mal ausgedacht, „dabei ist Hengsten 6 doch schon viel zu weit weg“, sagen die drei mit gespielter Entrüstung.

Natürlich sei man weit draußen, aber jetzt nicht wirklich abgekoppelt. Übers Internet zum Beispiel, oft ein Problem in Wuppertals Randlagen, „können wir nicht klagen“. Die Müllabfuhr nehme auch regelmäßig den weiten Weg auf sich, der Räumdienst arbeite im Winter tadellos. „Ich glaube, da haben die auf den Südhöhen mehr Probleme“, sagt Bangen.

Untereinander wird — wenn man nicht ohnehin mal eben rüber geht — in einer Whatsapp-Gruppe Kontakt gehalten. „Unser Facebook“, sagen die Hengstener lächelnd. Da wird dann zum Beispiel geteilt, wo gerade das Öl billig ist oder wo sich der Hund gerade mal wieder rumtreibt.

„Wir wohnen schon sehr gerne hier“, sagt Bangen und erntet zustimmendes Kopfnicken. Wenn Verwandte oder Freunde zu Besuch kommen, fällt oft der Satz: „Das ist wie Urlaub bei euch.“ Allerdings, fügt er an: „Es ist idyllisch, aber teuer.“ Zum nächsten großen Supermarkt ist es eine längere Autofahrt, weil auch das benachbarte Beyenburg außer Bäcker und Eisdiele nicht mehr viel zu bieten hat. Wasserleitungen mussten die Hengstener auf eigene Kosten verlegen. Trotzdem: Wegziehen würde keiner freiwillig. Und die Kinder kommen, wenn sie groß sind, auch gerne wieder zurück. Die einzigen, die Hengsten weniger mögen, dürften diverse Lkw-Fahrer sein, die sich in den vergangenen Jahren zwischen den Häusern festfuhren — obwohl Schilder schon früh warnen, dass Lastwagen auf den engen Straßen nichts zu suchen haben. „Von den Fahrern kommt dann der Satz: Das ,Navi’ hat mich hergeleitet“, sagt Heinz-Werner Putzke und lacht.

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