WZ-Interview „Wer in der Corona-Krise Abstand wahrt, der verhält sich solidarisch“

Wuppertal · Interview Oberbürgermeister Andreas Mucke fordert Hilfe für kleine Betriebe.

 Von links: Oberbürgermeister Andreas Mucke, WZ-Chefredakteur Lothar Leuschen und Florian Kötter.

Von links: Oberbürgermeister Andreas Mucke, WZ-Chefredakteur Lothar Leuschen und Florian Kötter.

Foto: WZ/Andreas Boller

Mehrmals am Tag gehen im Rathaus in Barmen neue Zahlen zu Erkrankungen am Coronavirus in Wuppertal ein. Vor dem WZ-Interview weist Oberbürgermeister Andreas Mucke am Dienstagmorgen auf den Stand hin. Inzwischen sind es 31 erkrankte Personen, von denen drei im Krankenhaus versorgt werden müssen. In einem Fall muss der Patient beatmet werden.

Es gibt praktisch stündlich neue Empfehlungen, Erlasse und Anordnungen, die massive Auswirkungen auf das tägliche Leben haben. Viele Menschen haben den Eindruck, dass ihnen etwas verschwiegen wird, dass es schon längst konkrete Pläne für die kommenden Tage und Wochen gibt. Wissen Sie mehr?

Andreas Mucke: Wir kennen die Erlasse des Landes NRW, die werden uns sofort übermittelt. Was die Bundeskanzlerin am Montag angekündigt hat, das sind Empfehlungen. Ich habe gegenüber der Landesregierung die Frage gestellt, ob Ausgangssperren vorgesehen sind. Da war aber überhaupt nicht die Rede von, das wurde weit von sich gewiesen. Bei den Grenzschließungen hat man aber gesehen, dass sich solche Aussagen stündlich ändern können.

Bei vielen Menschen hat sich im Alltagsverhalten scheinbar noch nichts geändert. Das steht in einer Diskrepanz zu der Vielzahl von einschneidenden Anordnungen. Wie erklären Sie sich diese Diskrepanz?

Mucke: Die Konsequenzen der Coronakrise müssen den Menschen immer wieder vor Augen gehalten werden. Viele verhalten sich entsprechend unserer Anweisungen und Empfehlungen. Wir haben den Eingangsbereich der Verwaltungshäuser so organisiert, dass es zu wenigen persönlichen Kontakten zwischen Bürgern und Mitarbeitern kommt. Dafür haben die meisten Menschen Verständnis. Viele Unternehmen sollten das auch tun. Wir wollen als Stadtverwaltung Vorbild sein, zum Beispiel mit Konferenzen über Video und Telefon. Jedes Unternehmen trägt Verantwortung für sein Geschäft.

Wie ist es mit der Fürsorgepflicht der Stadt um Menschen bestellt, die der deutschen Sprache nicht mächtig sind?

Mucke: Ich bin froh, dass die Medien so sachlich über alle Kanäle berichten. Das Interesse an dem Coronavirus und den Folgen ist sehr groß. Auf der Homepage der Stadt haben wir eine Kachel zum Coronavirus angelegt, über die wir die Menschen in der Stadt in fünf verschiedenen Sprachen informieren. Ich habe eine Videobotschaft ins Netz gestellt, die ist bisher 40 000 Mal geklickt worden. Das zeigt mir, dass die Menschen Informationen aus erster Hand erwarten. Meine Bitte ist, nur in wichtigen Fällen bei der Stadt anzurufen und sich lieber auf der Homepage der Stadt schlau zu machen, sonst brechen alle Leitungen zusammen. Menschen, die vom Coronavirus betroffen sind und wichtige Anliegen haben, kommen sonst nicht durch. Ich habe bis spät in die Nacht Mails beantwortet. Ich kann die Menschen nur bitten, schreibt uns, wenn ihr sachliche Fragen habt. Wenn ich dazu aufrufe, besonnen zu handeln und achtsam zu sein, dann müssen wir auch alle Fragen beantworten. Das ist unsere Pflicht, und das werden wir auch tun.

Wo gibt es außerdem Informationsbedarf?

Mucke: Ich werde Gespräche mit den Kirchen und den muslimischen Gemeinden führen. Am Nachmittag (Dienstagnachmittag, d. Red.) ist eine Gesprächsrunde mit dem Hotel- und Gaststättenverband, der IHK, dem DGB, dem Einzelhandelsverband und der Kreishandwerkerschaft geplant, um über die Lage zu sprechen. Die Verbände sollen ihre Betriebe informieren und darüber läuft dann vor allem auch die Information an die Mitarbeiter. Wir müssen über verschiedene Informationsstränge an die Menschen herankommen. Dann können wir auch Menschen erreichen, die keine Zeitung lesen und kein Radio hören. Es gibt viele Fragen, und unabhängig von den Hygienevorschriften gibt es viele Themen dazu, die betreffen ausschließlich unsere Stadt. Wir sind auf allen Kanälen aktiv, rund um die Uhr.

Sie erwähnten die Erlasse des Landes NRW. Schickt man mit den Erlassen und Verfügungen auch Geld für die Präventionsmaßnahmen, die von der Stadt vorgenommen werden müssen?

Mucke: Schön wäre es. Für Entschädigungen haben wir noch keinen einzigen Cent gesehen. Die Probleme werden momentan bei uns abgeladen. Wir als Stadt dürfen keine Schulden machen. Wir besprechen mit der Bezirksregierung, dass man die Kriterien für die Genehmigung des Haushaltes in diesem Jahr einmal außer Kraft setzt. Ich erhoffe mir, dass es da bei den freiwilligen Leistungen einmal grünes Licht gibt. Was die mögliche Erstattung von Kita-Gebühren für die Eltern angeht, hoffe ich auf eine Regelung durch das Land. Diese Unterstützung brauchen wir vom Land dann aber auch. Die haben wir noch nicht, da sind wir erst in der Abstimmung. Der Bundesfinanzminister hat gesagt, da muss man mit der Gießkanne ran.

Ist die Zusammenarbeit zwischen Bund und Ländern in der Krise besser geworden?

Mucke: Der Föderalismus ist eine gute Sache, aber es fehlt an der Umsetzung. Erst wenn das eine Land es vormacht, ziehen die anderen nach. Das muss nicht schlecht sein. Besser wäre es, wenn man sich abstimmen würde. Das beste Beispiel in der vergangenen Woche wäre gewesen, wir schließen die Schulen überall. Weil kein Mensch versteht, dass das Virus in Bayern andere Auswirkungen hat als bei uns. Hilfreich wäre es, wenn die Länder generell einheitlich entscheiden würden. Ein einheitliches Vorgehen wäre besser für uns alle. Sinnvoll wäre zum Beispiel die sofortige Schließung aller gastronomischen Betriebe, aber wenn das in den Nachbarstädten nicht gleichzeitig geschieht, dann werden die Menschen dorthin ausweichen, wo das Angebot noch vorhanden ist.

Wem muss jetzt geholfen werden?

Mucke: In der Wirtschafts- und Finanzkrise wurden den Banken Milliarden in den Rachen geschoben. Jetzt geht es darum, dem einzelnen Menschen und den kleinen Betrieben zu helfen. Selbst große Unternehmen sagen mir, sie hielten das nicht lange durch. Hilfen sind angekündigt für Unternehmen, die vor dem Nichts stehen. Man muss zum Beispiel die prekäre Situation von Künstlern sehen, die keinen Auftritt in den kommenden acht Wochen haben werden, oder die Probleme im Messebau, wo es keinerlei Aufträge mehr gibt. Honorarkräfte stehen vor dem Nichts. Ich habe veranlasst, dass wir im Kulturbüro zusammentragen, was gibt es für Hilfen, wie konkret ist das. Das wird jetzt zusammengestellt, um den Kulturschaffenden Hilfen zu geben. Das Land muss uns ganz schnell Hilfen geben. Die Stadtsparkasse ist da sehr unterstützend unterwegs. Die Ruhe bewahrt man aber nur, wenn finanzielle Sicherheit gewährleistet ist.

Die Bahn streicht ihr Angebot im Nahverkehr auf den Sonntagsfahrplan zusammen, weil die Nachfrage gesunken ist. Wie sieht der Plan für Wuppertal aus?

Mucke: Die Stadtwerke fahren ihren Normalfahrplan. Es ist wichtig, dass die Schwebebahnen in einem normalen Takt fahren, damit die Leute Abstand voneinander halten können. Solidarität heißt, Abstand zu bewahren.

Aus der Wuppertaler CDU kommt der Vorschlag, die Kommunalwahl zu verlegen. Stimmen Sie dem zu?

Mucke: Im Moment denke ich nicht an Wahlen und Wahltermine, sondern daran, wie wir das öffentliche Leben aufrechterhalten und den Menschen das Gefühl geben, das wir füreinander da sind.

In Düsseldorf wird darüber nachgedacht, Verdachtsfälle nicht mehr zu testen, weil die Kapazitäten für die Tests auf absehbare Zeit nicht mehr vorhanden sind. Wie ist die Lage in Wuppertal?

Mucke: Wir sind am Rande der Kapazität. Die Zahl der Tests ist steigend, da ist es logisch, dass auch die Zahl der Infizierten hochgeht. Irgendwann wird auch in Wuppertal der Punkt kommen, dass man denen, die sich krank fühlen, lediglich rät, zu Hause zu bleiben und sie nach Schwere der Erkrankung behandelt. Wer zurückkommt aus einem Risikogebiet, der sollte zunächst zwei Wochen zu Hause bleiben. Die Bitte lautet daher: „Schottet Euch ab!“ Die Stadtverwaltung will auch hier Vorbild sein: Jeder, der vor Ort entbehrlich ist, sollte von zu Hause aus arbeiten. Das bedeutet nebenbei einen Riesenschub für die Digitalisierung. Bei der Kinderbetreuung muss man immer Verständnis aufbringen. Gemeinschaft funktioniert nur in alle Richtungen.

Vieles deutet darauf hin, dass das öffentliche Leben in den nächsten Tagen in Deutschland komplett heruntergefahren wird und Ausgangssperren angeordnet werden. Was bleibt dann noch den Menschen? Was ist, wenn der Zustand noch lange anhält?

Mucke: Ich denke, Unterhaltung braucht man gerade jetzt. Manche möchten vielleicht ein Konzert sehen oder ein Theaterstück der Wuppertaler Bühnen. Hat man so etwas in Konserve? Vermutlich gibt es das. Die Situation ist eine Herausforderung, aber die Entschleunigung ist für die Gesellschaft auch eine Chance. Die Kinderbetreuung wird von vielen als Problem gesehen. Macht es doch mal wie früher, als noch nicht jedes Kind drei oder vier Kurse pro Woche belegt hat. Es kann auch mal ein Brettspiel sein. Alles drehte sich zuletzt immer schneller. Jetzt merkt man, dass wir als Menschen und Gesellschaft verletzlich sind.

Welchen Einfluss kann die Stadt auf die Planungen der Krankenhäuser nehmen. Die müssen sich auf viele schwer erkrankte Patienten einstellen?

Mucke: Gespräche des Wuppertaler Krisenstabs mit den Krankenhausbetreibern in der Stadt hat es schon mehrere gegeben. Die Kliniken sind vorbereitet. Das Land NRW ist für die Kliniken zuständig. Die Stadt hat die Aufsicht, aber kein Weisungsrecht.

Angela Merkel hat empfohlen, Spielplätze zu sperren. Wie wird in Wuppertal verfahren?

Mucke: Wir werden ab sofort untersagen, die Spielplätze zu besuchen. Unsere Mitarbeiter haben am Montag beobachtet, dass sich auf manchen Spielplätzen größere Gruppen bilden. Der Erlass tritt am Mittwoch in Kraft. Wir werden das kontrollieren. Das hört sich hart an, aber es ist absolut notwendig, um die Infektionsketten zu unterbrechen. Kinder könnten sich auf dem Spielplatz gegenseitig anstecken und das Virus an Ältere weitergeben. Wir haben das Recht, Platzverweise zu erteilen und Ordnungsgelder zu verhängen. Das gilt auch für öffentliche Hochzeitsfeiern.

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