Wuppertals Weihnachts-Chauffeure und das Geheimnis der Teddybären

Regina Runte gehört zu den Freiwilligen, die die Gäste der Weihnachtsfeier für Einsame an Heiligabend nach Hause bringen.

Wuppertal. Die Teddybären sieht Regina Runte immer noch vor sich, auch nach all den Jahren. Sie erinnern die Wuppertalerin an einen Abend, der so gar nicht in eine der üblichen Weihnachtsschubladen passt: Gefüllt werden sie in diesen Tagen vorzugsweise mit Nostalgie, Freude, Glaube oder Familiensinn — und allem, was sonst mit einem gelungenen Fest verbunden wird. In Regina Runtes Weihnachtsschublade liegt ganz oben ein Autoschlüssel. Und zu dem wird die 57-Jährige auch an diesem Heiligen Abend greifen, wenn es wieder darum geht, die Besucher der Weihnachtsfeier in der Stadthalle nach Hause zu fahren.

Regina Runte, ehrenamtliche Fahrerin an der Stadthalle, über ihre erste Passagierin.

Und da sind sie wieder, die Teddybären der geheimnisvollen alten Dame. Sie hat vor acht oder neun Jahren auf Runtes Beifahrersitz Platz genommen — damals, als sie zum ersten Mal ehrenamtlich als „Chauffeurin“ am Johannisberg im Einsatz war, um Festgäste aus Barmen heimzubringen. „Mir fiel auf, dass die Frau viele Taschen bei sich trug“, erzählt Regina Runte. „Aber ich habe mir nichts weiter dabei gedacht.“

Das änderte sich, als die Dame auf der Heimfahrt ihre Taschen öffnete und Teddybären daraus hervor zog, um diese mit Namen vorzustellen und ihnen zu erzählen, was sie in der Stadthalle bei der Weihnachtsfeier so alles erlebt hatte. „Zuerst habe ich nur geschmunzelt“, sagt die 57-Jährige. „Aber dann war ich tief bewegt.“

Regina Runte über ihre Touren am Heiligen Abend.

Teddybären als Ersatz für die Familie — in der Heiligen Nacht und weit darüber hinaus. Einsamkeit hat viele Facetten, das hat Regina Runte in jener Nacht am Lenkrad ihres Skoda gelernt, bevor sie nach ihrer Schicht nach Hause zur Familie fuhr, um Verwandten und Freunden von der Begegnung zu erzählen. Die Passagierin aus Barmen jedenfalls ließ sich bis zuletzt nicht beim Tragen ihrer Taschen helfen. Zu wertvoll war ihr Inhalt.

Geschichten mit dieser Tiefe hat Regina Runte in den darauf folgenden Jahren einige erlebt — aber es wird diese erste Fahrt sein, die sie niemals vergisst. „Die Leute, die man nach Hause bringt, sind unglaublich dankbar“, sagt die Wuppertalerin. „Und das gibt einem viel zurück. Ich fahre immer ganz zufrieden nach Hause.“

Etwas von dem Glück abgeben, das einem selbst im Leben widerfahren ist: Auf diesen Nenner bringen die Fahrer wie Regina Runte ihren Einsatz. Ganz unspektakulär und doch alles andere als selbstverständlich — im Zeitalter der prall gefüllten Terminkalender. Als Grundschullehrerin bekomme sie auch so schon eine Menge vom Leben da draußen mit, erzählt Runte, aber erst Erlebnisse wie die hinter dem Lenkrad machten das Bild komplett. Ein Paar Gummistiefel gegen den Regen am Heiligen Abend habe sie ebenso schon ins Auto geladen wie einen Sommermantel, weil es draußen überhaupt nicht kalt war.

Regina Runte über ihren Entschluss, etwas vom Heiligen Abend abzugeben: Zeit.

„Der Himmel ist mit mir, und das mache ich jetzt“ — das war der Entschluss vor dem Abend der Weihnachts-Teddys, und daran hat sich nichts geändert. Familien mit Kindern hat Regina Runte auch schon nach Hause gefahren — und mit ihnen gesungen. „Ganz fröhlich“, wie die Barmerin, die mittlerweile mit einem Toyota einen Teil ihres Heiligen Abends verschenkt, betont.

In diesem Jahr will sie mit ihrem Partner zur Stadthalle fahren, um dieses Gefühl zu erleben. Wie damals bei jener vornehmen älteren Dame aus Russland, die ihre Heimat verlassen musste, weil dort niemand ihre Behandlungskosten bezahlen konnte — Krebs. Und da sind sie wieder greifbar nahe, die Weihnachts-Teddys, die die Einsamkeit zurückdrängen, zumindest einen Heiligen Abend lang.

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