100. Geburtstag von Erich Fried Soll man mit Neonazis reden?

Ronsdorf · Gesamtschule feiert den Geburtstag ihres Namensgebers mit einer Online-Veranstaltung.

 Autor Thomas Wagner im Gespräch mit den Schülerinnen Lilly Geisel und Chiara Jacobsen sowie Geschichtslehrer Benjamin Breutel.

Autor Thomas Wagner im Gespräch mit den Schülerinnen Lilly Geisel und Chiara Jacobsen sowie Geschichtslehrer Benjamin Breutel.

Foto: Fries, Stefan (fri)

Unter dem Motto „Erich-Fried feiert Erich Fried“ begeht die Gesamtschule in Ronsdorf den 100. Geburtstag ihres Namensgebers, des Dichters, Übersetzers und politischen Intellektuellen Erich Fried (1921-1988) am heutigen 6. Mai. Statt eines Fests gibt es eine Ausstellung, ein Video und eine Online-Diskussion darüber, was Fried in aktuellen Diskussionen über die politische Rechte zu sagen hätte.

Kern des Videos ist ein Interview mit dem Autor Thomas Wagner über sein Buch „Der Dichter und der Neonazi“. Es beschäftigt sich mit der Beziehung Frieds mit dem Neonazi Michael Kühnen, den Fried im Gefängnis besuchte und mit dem er Briefe wechselte. Anknüpfungspunkt für die Frage zum Umgang mit Menschen, die heute rechtes Gedankengut vetreten.

Beeindruckt von
der Toleranz Erich Frieds

Dazu befragten den Autor Thomas Wagner der Lehrer Benjamin Breutel sowie zwei Schülerinnen des Arbeitskreises „Schule ohne Rassismus“ der Schule. „Wir wollten Tipps, wie man umgehen soll mit Neonazis“, berichtet Lilly Geisel (18). Eine Herausforderung für Wagner: „Da musste ich erst mal neu drüber nachdenken.“ Denn das lange Gespräch erlaubte einen intensiveren Austausch als die Interview, die er sonst führt.

Lilly Geisel freut sich, dass sie durch das Buch und das Gespräch mit Thomas Wagner Erich Fried viel besser kennengelernt hat - „mehr, als wenn man nur den Wikipedia-Eintrag liest“. Sie und Chiara Jacobsen (18), ihre Mitstreiterin im Arbeitskreis, beeindruckt besonders Frieds Toleranz: „Dass er auch andere Meinungen akzeptiert“, erklärt Lilly Geisel. „Dass es eine Freundschaft geben konnte trotz der starken Differenz“, sagt Chiara Jacobsen. In Bezug auf rechtes Gedankengut setzen die beiden auf Bildung, auf Geschichts- und Politikunterricht und finden: „Das sollte noch mehr Thema in der Schule sein.“

Die Vorarbeit für das Jubiläum hat im Sommer begonnen. Seitdem war Fried Thema im Fach Darstellen und Gestalten in Klasse 10 unter der Leitung von Lehrer Benjamin Breutel. Die Schülerinnen und Schüler beschäftigen sich etwa damit, wie sie durch Gedichte ausgelöste Gefühle im Schwarzlichttheater auf die Bühne bringen können – das hätte Teil einer Aufführung werden können, die aktuell nicht möglich ist. Teil des Online-Videos sind Sequenzen mit Gedichtrezitationen zu Porträtaufnahmen der Schüler mit Maske.

Zudem erarbeiteten die Schülerinnen und Schüler die Ausstellung, die jetzt im Foyer der Schule zu sehen ist: Große Fahnen geben einen Überblick über die Lebensdaten des Dichters, zeigen zeichnerische Auseinandersetzungen mit ihm und seinen Gedichten und verweisen auf die Ereignisse, die zum Namen der Schule führten.

1988 sorgte nämlich das Gedicht „Nicaragua“ von Fried für einen Eklat an der Schule. Darin kritisiert Fried die Iran-Contra-Affäre und US-Präsident Ronald Reagan. Das Gedicht hing am Schwarzen Brett der Schule zu einer Schulpartnerschaft mit Nicaragua. Ein CDU-Politiker kritisierte das öffentlich, was zu einer breiten Diskussion in Rat, Landtag und den Medien führte.

Digitale
Geburtstagsparty

Das motivierte die Schüler dazu, Fried zu einer Diskussion an die Schule einzuladen. Bei seinem Besuch beeindruckte dieser viele Schüler, daraus entstand der Wunsch, die Schule nach ihm zu benennen. Auch wegen der Widerstände gegen den als „Stören-Fried“ verschrieenen Autor, der sich häufig zu aktueller Politik äußerte, gelang das erst 1997.

Was den antifaschistisch engagierten Dichter Fried dazu bewogen hat, sich mit einem Neonazi zu befassen, war die Frage, die sich der Autor und Kultursoziologen Thomas Wager stellte. Er zeichnet diese Beziehung anhand von Dokumenten wie Briefen und Erinnerungstexten nach, stellt Bezüge zum sonstigen Leben und Werk Frieds her. Ein „erzählendes Sachbuch“ sei sein Buch, „ich hatte keine pädagogische Absicht“; betont der Autor im WZ-Gespräch. „Ich wollte keine Quintessenz ziehen“, sagte er, das wolle er den Lesern überlassen.

Ein Angebot zu einer Lehrerfortbildung mit Thomas Wagner brachte Jens Brandenburg, didaktischer Leiter der Schule, auf die Idee, das Buch zum Thema des Jubiläums zu machen und daraus mit dem Arbeitsergebnissen der Darstellen-und-Gestalten-Kurse eine „digitale Geburtstagsparty“ zu machen.

Das Video mit dem Interview sowie die Aufzeichnung der Online-Diskussion sind auf der Internetseite der Schule zugänglich:

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