Gesundheit Hilferuf der Physiotherapeuten

Wuppertal · Branche klagt über wegbleibende Patienten und Existenzängste. Kassen sollen helfen.

 Physiotherapeutin Nadine Schlesinger mit einem Mundschutz, den eine Patientin für sie genäht hat.

Physiotherapeutin Nadine Schlesinger mit einem Mundschutz, den eine Patientin für sie genäht hat.

Foto: Schlesinger

Für die 115 Physiotherapiepraxen, die das Wuppertaler Branchenbuch verzeichnet, bedeutet die Corona-Krise eine teils existenzbedrohende Extremsituation mit Einnahmeausfällen von 20 bis 80 Prozent. Einerseits gelten die so genannten „Heilmittelerbringer“, zu denen auch Ergotherapeuten, Logopäden und Podologen gehören, als systemrelevant, dürfen also weiter arbeiten, andererseits brechen ihnen die Patienten weg, aus Angst vor einer Ansteckungsgefahr - übrigens auf beiden Seiten.

„Sollten Praxen aus finanziellen Gründen schließen müssen, wird dies auch bei uns nicht nur jetzt in der Krise, sondern auf Dauer massive Versorgungsprobleme bringen, was am Ende allen Patienten schadet, weil es Heilungsprozesse verzögert oder unmöglich macht,“ heißt es in einem Schreiben, in dem der Fachverband für Soforthilfen von den Krankenkassen plädiert. Neben Praxisinhaber Krzysztof Stec, haben diesen mehrere Wuppertaler Physiothereuten unterschrieben.

Matthias Trippe, der in Barmen als Solo-Selbstständiger arbeitet, schätzt, dass er derzeit nur noch 40 Prozent der normalen Patientenzahl hat - nämlich die absolut notwendigen Fälle. Er behandelt hauptsächlich Menschen mit neurologischen Störungen, etwa nach einem Schlaganfall oder mit einer Parkinson-Erkrankung.

Viele davon, etwa die mit Herzleiden oder einer Zuckerkrankheit seien gleichzeitig Hochrisikopatienten bei einer Ansteckung mit dem Coronavirus. „Das ist dann eine Sache der Risikoabwägung“, sagt Trippe. Vorsichtsmaßnahmen seien nur bis zu einem gewissen Grad zu treffen, Atemschutzmasken etwa habe er in der Kürze der Zeit nicht organisieren können, Distanz einzuhalten sei bei Behandlungen im Kopfbereich schwierig.

Nadine Schlesinger von Rainbow Med hatte Glück und noch zehn Schutzmasken für 120 Euro bei einem Wuppertaler Hersteller bekommen. „Eine Patientin habe ihr sogar einen selbstgenähten Mundschutz mitgebracht“, berichtet sie, wobei der eher symbolische Wirkung habe. Täglicher Kleiderwechsel und Umziehen nach einem Behandlungstag seien ebenso wie der Gebrauch von Desinfektionsmitteln und Handhygiene natürlich obligatorisch. Da sie viele Patienten habe, für die eine Lymphdrainage etwa nach Krebs-OP dringend geboten sei, hielten sich die Patientenrückgänge bei ihr noch in Grenzen.

„Ein Therapieverlust wäre für diese Personen Wahnsinn, beim ein oder anderen wüsste ich, dass es ein Pflegefall wird“, sagt sie. Da, wo möglich, versuche sie zur Risikominimierung Patienten zur Selbstbehandlung anzuleiten, nur bei acht von 18 Patienten habe sie etwa am Mittwoch selbst Hand angelegt.

Bei Risikopatienten versuche sie zudem Telemedizin zu nutzen, habe ein ganzes Wochenende daran gearbeitet, für sie ein passenden Equipment vorzubereiten. Die Patienten filmen sich zu Hause mit Handy. Schlesinger, für die aktuell ihre Tätigkeit als Teamphysio von Rollhockey-Bundesligist RSC Cronenberg wegen Sportpause ruht, gibt aus dem Home-Office Anweisungen.

„Darüber gibt es unter Physiotherapeuten teilweise Glaubenskriege“, sagt Michael Faulstich, der sich zwar nicht als Hardliner bezeichnet, in seiner Elberfelder Praxis aber klassische Behandlung bevorzugt. Er habe den Betrieb derzeit auf ein Mindestmaß heruntergeschraubt, beschäftigt nur zwei weitere Mitarbeiter. Eigentlich hatte er geplant, aufzus

tocken, ist aber jetzt froh, dass er noch niemand Passendes gefunden hatte. Eine Zeitlang könne man das sicher durchhalten, zumal ja die Zahlungen aus dem Februar und von Anfang März augenblicklich noch flössen. Die Frage, was ist, wenn es länger dauert, beschäftigt aber auch ihn.

(gh)
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