Wuppertaler Oper nimmt mit „La Bohème“ an internationalem Audio-Kunstprojekt teil Musikgenuss kommt über das Telefon

Alles sei gut, was die Kultur am Laufen halte, findet der scheidende Chefdramaturg der Oper Wuppertal, David Greiner. Alles ist in diesem konkreten Fall ein internationales Audiokunstprojekt, das das Theatrophon aus dem ausgehenden 19. ins 21. Jahrhundert holt.

  Szene aus der Wuppertaler „La Bohème“-Inszenierung  mit Ralitsa Ralinova und Ales Jenis. 

 Szene aus der Wuppertaler „La Bohème“-Inszenierung  mit Ralitsa Ralinova und Ales Jenis. 

Foto: Jens Grossmann/JENS GROSSMANN

Unter dem Titel „This Evening’s Performance has not been cancelled“ erlauben an drei Abenden neun europäische Theaterhäuser kostenfreie Einblicke in ihre Produktionen vor und hinter den Kulissen. Sie tun dies am Telefon in einem Callcenter auf Zeit.

Die Schockstarre währte nur kurz, verhalf zum Durchatmen nach intensiver Aufführungsarbeit. Dann aber ging es weiter, viel im Homeoffice, viel über das Internet, nur nicht im Opernhaus. „Wir mussten uns umstellen, ich habe viel dazu gelernt, was man alles schaffen kann, ohne sich dafür zusammensetzen zu müssen“, erinnert der Chefdramaturg der Oper. Ohne zu verhehlen, dass das Theater, „das Live-Präsentationsmedium per se“, nicht ohne Bühne mit atmenden Menschen und Publikum auskommen könne.

Ende April kam die erfreuliche Anfrage aus dem norwegischen Bergen. Die dortige „Nasjonale Opera“ und die schottische Performancekünstlerin Zoe Irvine suchten Kooperationspartner für ein Projekt, das einen längst vergessenen Übertragungsweg für Musik aufgreift.

Das Theater ist das Live-Präsentationsmedium an sich

Das Theatrophon erlaubte Ende der 1800er Jahre, aus der Ferne Konzerte, Nachrichten und Unterhaltungssendungen zu hören. In Paris und London wurden damals ganze Opern über das Telefon übertragen, das Interesse des Publikums war so groß, dass jeder nur ein paar Minuten zuhören durfte. Die Idee, dieses Medium im Streaming-Zeitalter zu reaktivieren, die coronabedingte Theaterschließung zu umgehen und präsent zu bleiben, gefiel den Wuppertalern.

„This Evening’s Performance has not been cancelled“ ist ein sperriger Titel, der betont, dass im Gegensatz zu den vielen Absagen, die der Lockdown den Theaterhäusern abverlangt(e), diese Veranstaltung stattfindet. Auf dem Programm des Wuppertaler Parts stehen Einblicke in die Produktion der Puccini Oper „La Bohème“. Die Wahl fiel auf diese Aufführung, weil sie in der frühen Spielzeit 19/20 für Furore sorgte, eine besondere Arbeit und leicht international zu erklären sei, erzählt Greiner. Schwieriger gestaltete sich die Suche nach technisch passablen Mitschnitten, weil in der Regel nur für den Hausgebrauch aufgenommen werden.

Greiner, Georg Stucke (stellvertretender Solotrompeter des Sinfonieorchesters) und Marco Agostini (Zweiter Tenor des Opernchors) werden an drei Abenden, jeweils von 19.30 bis 21.30 Uhr, im Callcenter die Anrufe interessierter Musikliebhaber entgegennehmen. Fragen zur Produktion beantworten, Hörproben anbieten – zwei Solo-Arien und ein Duett wurden dafür ausgesucht. Ein Sprung ins kalte Wasser. Man wisse nicht genau, was da auf einen zukomme, erzählt Greiner. Ganz gespannt sei er. Er mutmaßt, dass wohl immer wieder die Frage nach dem Befinden der Oper im Ausnahmezustand gestellt werde. Geantwortet wird natürlich in deutscher und englischer Sprache, außerdem bietet David Greiner noch Italienisch und Französisch an.

Drei Vertreter der Wuppertaler Bühnen sind im Callcenter

Für den Chefdramaturgen wird der Einsatz am Telefonhörer einer der letzten in Wuppertal sein. Sein Büro im Opernhaus ist bereits geräumt, ab Juni ist er nicht mehr in der Stadt, arbeitet bis zum Ende der Spielzeit aus der Ferne. Im Homeoffice wie in den letzten Wochen. Die Entscheidung, nach knapp zwei Jahren den Job aufzugeben, hatte er noch vor der Coronakrise gefällt. Auch seine Nachfolger konnte er noch einarbeiten. Dass er sich nun nicht mehr vom Publikum, den Theaterfreunden und den Kollegen verabschieden kann, bedauert er. Und ergänzt auf die Frage, was ihm am meisten fehlen werde: „Die Menschen.“

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