Was glauben Sie denn? Wuppertaler Kirchenkolumne: Jüdischer Humor ist eine Überlebensstrategie

Wuppertal · Ruth Yael Tutzinger schreibt in der neusten Kirchenkolumne über jüdische Selbstironie.

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Foto: Fries, Stefan (fri)

Eigentlich waren sie noch keine Juden und die Erfüllung der Verheißung, Abraham würde der Vater vieler Völker werden, zeichnete sich keineswegs ab. Sie waren alt geworden, Abraham und Sarah, als ihnen verkündet wurde, Sarah würde einen Sohn bekommen. Der Verkünder war ein göttlicher Bote, vielleicht sogar Gott selbst, trotzdem konnten sich Abraham und auch Sarah das Lachen nicht verkneifen (1. Mose 17,17 ff.). Der Sohn, der tatsächlich von Sarah geboren wurde, erhielt dann den Namen Jizchak (er wird lachen).

Etwa 500 Jahre später versucht Mosche, aus einem wilden Haufen entlaufener Sklaven während einer vierzigjährigen Wüstenwanderung ein Volk zu formen, das trotz seiner Traumata in der Lage ist, in Würde und Freiheit zu leben. Das geht nur mit Gottes Hilfe, aber zwischen Mosche und Gott geht das auch nicht ohne Auseinandersetzungen ab. Das macht die biblischen Geschichten auch heute noch so aktuell, weil uns alle Höhen und Tiefen, die die Menschen erleben, ungeschminkt erzählt werden, ihre Freude und ihr Zorn, ihre Schwächen und Stärken, ihr Weinen und ihr Lachen. Und wenn man genau hinschaut, bei allem Respekt vor der Erhabenheit des Schöpfers, gibt es viele Erzählungen, die unsere

Lachmuskeln aktivieren.

Ich will noch einmal daran erinnern, dass wir hier von einem der kleinsten Völker dieser Welt reden. Auch zu Zeiten, als die Weltbevölkerung noch nicht so zahlreich war, war es immer ein kleines Volk, das immer wieder unter die Räder der Mächtigen geriet. Ja, es gab kurze Erfahrungen von Frieden, Selbstständigkeit, sogar Ruhm. Ohne diese hätte sich wohl kein solcher Zusammenhalt entwickeln können. Doch gerade die Exilerfahrungen schweißten den Rest der Entronnenen zusammen und formten ihre Identität als Volk im Bund mit diesem einen Gott, der auch ins Exil mitging. Auf dieser Grundlage konnten sich die Gelehrtenschulen entwickeln, die eine Debattenkultur entstehen ließen, von der wir heute nur träumen können. Die Bedeutung jedes Buchstabens der Tora wurde diskutiert. Man hat sich nichts geschenkt, aber man durfte nie verletzend werden. Diese ständige Übung, mit begrifflichen Gegensätzen zu spielen, paradoxe Möglichkeiten zu erwägen, dem Gesprächspartner schnell, sicher durch überraschende Wendungen zu parieren, sogar seine Argumente ad absurdum zu führen, hat zu einer kritischen Schlagfertigkeit erzogen und den jüdischen Geist geprägt. Hier erkannte man schon, was Sigmund Freud in unserer Zeit so formulierte: „Die Erfahrung belehrt uns, dass jedes Leben ein anderes ist. Aus diesem Grund kann keiner von uns im Besitz der absoluten Wahrheit sein.“

Diese Erkenntnis richtet sich gegen Denk- und Realitätszwänge, denen die jüdische Minderheit immer wieder ausgesetzt war und oft noch ist. Dagegen hilft meist nur, die komischen Seiten der Situation zu erkennen und sie mit Selbstironie aufzuspießen. Auf diese Weise haben viele auch philosophische Probleme der Menschheit schon eine blitzartige Erleuchtung im jüdischen Witz erfahren.

Humor ist erfinderisch, er findet einen Ausweg, selbst und gerade, wenn es einen Ausweg nicht zu geben scheint. Er nimmt damit der Situation die Schwere und kann tröstlich sein. Der Trost liegt darin, die Ausweglosigkeit selbst erkannt zu haben. Daraus ergibt sich eine trotzige Selbstbehauptung, ein unbedingter Wille zu Autonomie.

Historisch möchte ich noch einfügen, dass es im Mittelalter sowohl in der spanisch-jüdischen wie auch in der deutsch-jüdischen Kultur (sephardisch und aschkenasisch) viele humorvolle Dichter und auch Gelehrte gab, die gern gelacht haben. Auch die Ostjuden, die jiddisch sprachen, seien hier nicht vergessen. Sie haben trotz bitterer Armut ihren Humor nicht verloren und mit Theaterschwänken, Gedichten, Liedern und Musik ihrem Hunger etwas entgegengesetzt.

Als im 19. Jahrhundert endlich alle Ghettomauern fielen, tummelten sich sehr bald Juden gerade in humoristischen Rollen auf den Bühnen der Provinz-, aber auch der Hauptstädte der Welt. Es entstand eine Fülle von Satire-Zeitschriften, Kabaretts, viele bekannte Kritiker und Feuilletonisten waren Juden. 

1933 fand dies alles ein jähes Ende. Manche Journalisten und Künstler, die schon in den 20er-Jahren die Nazi-Bewegung aufs Korn genommen hatten, waren hellsichtig genug, sich nach England, in die USA oder das damals britische Mandatsgebiet Palästina zu retten. Viel zu viele hingen jedoch der Illusion einer deutsch-jüdischen Symbiose an und kamen zu spät in der Realität an.

Eine Fülle von Zeitungen, Büchern und Noten ging in den Scheiterhaufen der Bücherverbrennung unwiederbringlich in Flammen auf.

Vielen Menschen half ihr Humor, ihre Selbstironie, selbst in den KZ unter den Augen der Nazi-Verbrecher ihre Würde als Menschen zu wahren, getreu dem Motto: „Die Tränen, die wir gelacht haben, müssen wir nicht mehr weinen.“

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