Geschichte Nebelbilder aus Solingen Nebelbilder aus Solingen

Detlef Vonde über Peter Knecht, Waffenproduzent und Sozialkritiker.

 Peter Knecht

Peter Knecht

Foto: gemeinfrei

Er nannte sich „Immerwahr“, schrieb für das Elberfelder Kreis- und Intelligenzblatt in den 1840er Jahre regelmäßige Kolumnen, in denen er eine Unsitte der frühindustriellen Unternehmer anprangerte: Die bezahlten damals ihre Arbeiter und Arbeiterinnen zum Teil mit Waren statt mit Geld. Dieser eher ungewöhnliche Mann hieß Peter Knecht, war Waffenproduzent und Sozialkritiker, Kommunalpolitiker und Herzensmonarchist, stammte aus Solingen, ist aber durch seine publizistische Tätigkeit auch für die Wuppertaler Geschichte von Interesse.

Der ultrakonservative Kritiker nannte seine Kolumne „Nebelbilder aus Solingen“ und beschrieb darin mit markigen Worten eine Praxis der Ausbeutung, die als „Trucksystem“ nicht nur im Bergischen verbreitet war. Der 1798 in Solingen geborene Peter Knecht war der Sprössling einer Familie aus traditionellem Schneidwarenhandwerk, welcher der Aufstieg zu angesehenen Kaufleuten gelungen war. 1824 gründete Knecht Junior mit der Waffen- und Quincaillerienfabrik sein erstes erfolgreiches Unternehmen in der Waffenbranche, mit internationalen Beziehungen nach Frankreich, Belgien und Holland.

Die Geschäfte der Kaufleute in Solingen liefen insgesamt gut, bis die Krisenerfahrung eines Konjunktureinbruchs ab 1831 die lokale Unternehmerschaft zu dem „Trick“ verleitete, die Produktionskosten in der Kleineisenindustrie radikal zu senken, indem man an den Lohnkosten drehte. Gearbeitet wurde im Auftrag von sogenannten Verlegern, die die Rohstoffe lieferten, welche zu bearbeiten und gegen Lohn wieder abzulie­fern waren. Dafür benötigte man nur wenig Kapi­tal: Die Arbeiter und Arbeiterinnen produzierten nämlich nicht in Werkstätten, sondern unmittelbar zu Hause; die Verleger stellten weder Werkzeuge noch Maschinen. Die „Währung“ beim Warenzahlen bestand oft aus Ramsch, Artikeln fern des täglichen Bedarfs oder aus allerhand Unverkäuflichem. Eine übliche Praxis der Verleger bestand auch darin, Schankstuben ein­zurichten, in denen die Arbeiter Alkohol als Vorschuss auf ihren Lohn erhielten und so in ein eng geknüpftes Netz von Ab­hängigkeiten gerieten.

Ab den 1840er Jahren kam es in der Presse zu hitzigen Debatten über soziale Missstände und Auswüchse des Warenzahlens. An die Spitze des Protestes hatte sich Peter Knecht gestellt, der seit 1845 im Elberfelder Kreisblatt die Artikelserie mit dem sprechenden Titel veröffentlichte, in denen er schonungslos mit der Skrupellosigkeit des Geschäfts abrechnete. In einer dieser Kolumnen Mitte 1845 hieß es: „Man gab dem Arbeiter oft nur für einen Tag Arbeit, damit er täglich die Branntweinkneipe, durch welche gewöhnlich der Weg in das Comptoir oder in die Packstube führt, besuchen und Branntwein trinken muss.“

In Knechts populären Skandalisierungen ging es aber weniger um Altruismus als um kaufmännisches Kalkül:  die zunehmend unkontrollierten Konkurrenzverhältnisse bedrohten auch den Erfolg der eigenen Geschäfte. Grundsätzlich führten die konservativen Kritiker der „Gewerbefreiheit“ einen publizistischen Abwehrkampf gegen den ungeregelten „Industrialismus“, wie sie es nannten.

Die geprellten Arbeiter schritten im März 1848 zur Selbsthilfe. Es kam zu Übergriffen und Fabrikzerstörungen im unteren Burgtal. Wenige Tage später veröffentlichten einige Fabrikanten in groß aufgemachten Annoncen ihre Bereitschaft, die Praxis des Warenzahlens künftig einzustellen. 1849 wurde das verhasste „Drucksystem“, das Knecht über zwei Jahrzehnte bekämpft hatte, in Preußen gesetzlich verboten.

Auch außerhalb seiner Kerngeschäfte machte er als Solinger Stadtrat, stellvertretener Abgeordneter der Preußischen Nationalversammlung, Gewerberichter und Mitglied der örtlichen Handelskammer Karriere. Der unternehmerische Erfolg aber erwies sich als brüchig: Die 1836 bei Hattingen gegründete Knechtsche Hütte, die mit moderner Dampfmaschine günstige Schneidwaren produzieren sollte, wurde bereits drei Jahre später zwangsversteigert, mit der Konsequenz, dass die wirtschaftliche Schieflage auch das Solinger Unternehmen traf: es wurde nach seinem frühem Tod 1852 geschlossen.

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