Historie Oberbürgermeister und Weichtierforscher

Emil Lischke – ein Dauerbrenner unter den Stadtchefs von Elberfeld.

 Detlef Vonde ist Historiker und ehemaliger Leiter der Politischen Runde der Bergischen VHS.

Detlef Vonde ist Historiker und ehemaliger Leiter der Politischen Runde der Bergischen VHS.

Foto: hammer/Anette Hammer/Freistil Fotografi

Carl Emil Lischke stammte aus einer Kaufmannsfamilie in Stettin und wurde in dem Jahr geboren, als Napoleon Bonaparte gerade die sogenannte Völkerschlacht bei Leipzig verloren hatte, nämlich 1813. Schon im Alter von 21 Jahren startete der frischgebackene Jurist nach blitzschnellem Studium eine ungewöhnliche Karriere, die ihn bis ins Amt des Oberbürgermeisters der aufstrebenden Industriestadt Elberfeld führte, und das er beinahe 20 Jahre innehaben sollte. Zuvor hatte er Berufserfahrung bei Gericht und Auslandserfahrung in den USA als preußischer Gesandter gesammelt, der sich insbesondere um die Angelegenheiten von Auswanderern kümmerte, die es in diesen Jahren massenhaft ins Land der „unbegrenzten Möglichkeiten“ zog.

Auf dem nächsten Posten bei der Regierung in Düsseldorf lernte Lischke dann die Tochter des Elberfelder Bankiers Daniel von der Heydt kennen. Sie heirateten schließlich 1854: Ein biografisches Schlüsselereignis, das seiner künftigen Karriere einen erwartbar beachtlichen Schub verlieh. Noch im gleichen Jahr wurde er nämlich Oberbürgermeister der Stadt und blieb es beinahe 20 Jahre bis 1873.

Dabei war der Start ins Amt nicht unumstritten und konfliktfrei, hatten doch immerhin rund 2300 Bürger schriftlichen Widerspruch gegen seine Wahl eingelegt. Das war ebenso einmalig wie ungeheuerlich für die politische Klasse. Dass der Mann aber etwas von Verwaltungsorganisation verstand, zeigte er schon bald, indem er die bis dato ehrenamtlichen Beigeordneten gegen besoldete Fachleute austauschte und die Bürokratie der inzwischen auf über 50 000 Einwohner angewachsenen Stadt damit grundlegend modernisierte.

Das war auch nötig, denn um die Mitte des 19. Jahrhunderts konnte nur der Kölner Raum mit der Wuppertaler Entwicklung in Sachen Städtewachstum mithalten. Das Ruhrgebiet schlummerte in diesen Jahren noch gleichsam im Dornröschenschlaf und verlebte ruhige Stunden vor dem Sturm der kommenden Industrialisierung und Urbanisierung. Ganz anders in Elberfeld und Barmen. Hier entwickelte sich einer der ersten großen Agglomerationsräume in Deutschland. Beide Städte schienen schier unaufhörlich zu wachsen. 1840 lag man mit zusammen etwa 42 000 Einwohnern noch auf dem sechsten Platz der größten Siedlungsräume in ganz Preußen. Nur 25 Jahre später hatte sich dieser mit nahezu 130 000 Menschen auf den dritten Platz vorgeschoben, direkt hinter Berlin und Breslau, das damals zum Deutschen Reich zählte.

Mit Emil Lischkes Amtszeit als Elberfelder OB begann die Phase professioneller Daseinsvorsorge und kommunaler Leistungsverwaltung in Wuppertal. Dies betraf zunächst die Armenfürsorge, welche zum sogenannten und europaweit kopierten „Elberfelder System“ umgebaut wurde. Wie schon sein Vorgänger hatte es Lischke in seiner Amtszeit mit den wiederkehrenden Cholera-Epidemien zu tun, die im Jahre 1859 noch 875 Menschen das Leben gekostet hat.

Sieben Jahre später fielen der Seuche sogar 912 Menschen zum Opfer. Die Angst ging um in der Stadt; denn noch waren die Ursachen der Epidemie nicht hinreichend erforscht, stand eine wissenschaftlich begründete Hygiene- und Gesundheitsbewegung erst in den Anfängen. Immerhin gab es seit 1863 ein neues Krankenhaus. Energieversorgung, Straßenbeleuchtung und hygienische Wasserversorgung zählten zu den wichtigen Infrastrukturentwicklungen einer Zeit, in der die Urbanisierung der exponentiell wachsenden Städte und Metropolen einsetzte.

Nach Dienstschluss pflegte der stramm nationalkonservative Oberbürgermeister ein eher ungewöhnliches Hobby: Er interessierte sich für die naturwissenschaftliche Weichtierforschung. Genauer gesagt, er betrieb mit Hingabe „Muschelkunde“ und publizierte dazu zahlreiche Fachbücher, etwa über die japanische Meeres-Moluskel. Nach ausgedehnten Auslandsreisen brachte er stets neue Funde mit nach Hause und entdeckte immer wieder unbekannte Weichtierarten, was ihm die geneigte Aufmerksamkeit der einschlägigen Forschung und schließlich einen Ehrendoktortitel der Universität Bonn einbrachte. Kein Zweifel: Als Weichtierforscher war Lischke eine anerkannte Größe mit internationaler Ausstrahlung. In der neuen Wahlheimat Bonn starb er 1886, nachdem ihn die Stadt Elberfeld zuvor noch zum Ehrenbürger ernannt hatte.

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