Gastbeitrag Die Elberfelder Schlachthäuser im 19. Jahrhundert

Von wilden Schweinemärkten und kommunalen Viehhöfen.

 Autor Dr. Detlef Vonde ist Historiker, ehemaliger Leiter der Politischen Runde der Bergischen VHS und wissenschaftlicher Mitarbeiter der Fernuniversität Hagen. Zahlreiche Veröffentlichungen, zuletzt: „Auf den Barrikaden. Friedrich Engels und die gescheiterte Revolution von 1848/49“.

Autor Dr. Detlef Vonde ist Historiker, ehemaliger Leiter der Politischen Runde der Bergischen VHS und wissenschaftlicher Mitarbeiter der Fernuniversität Hagen. Zahlreiche Veröffentlichungen, zuletzt: „Auf den Barrikaden. Friedrich Engels und die gescheiterte Revolution von 1848/49“.

Foto: hammer/Anette Hammer/Freistil Fotografi

„Die Lage eines solchen Gebäudes muß wegen der Unreinlichkeit, die in demselben entsteht, und wegen des Ausmistens der ihm anschließenden Ställe, so viel wie möglich außerhalb der Stadt befindlich sein.“ So meldete die Verwaltung von Elberfeld im Jahre 1827 und meinte damit den Bau eines neuen Schlachthofes, welcher schließlich am Brausenwerth errichtet wurde, um die privaten Schlachtungen künftig in kommunaler Regie durchführen zu können. In Elberfeld, dieser aufstrebenden Großstadt in spe, trug man damit schon recht früh einem Trend der Urbanisierung Rechnung, um die sprunghaft ansteigende Stadtbevölkerung einigermaßen geordnet mit Fleisch zu versorgen. Noch spielten dabei Hygieneanforderungen eine untergeordnete Rolle. Es dominierten eher moralische Bedenken, wie sie in der damaligen Begründung der Stadt zum Ausdruck kommen: „Das Dasein eines Schlachthauses muß endlich nebst mehrerem unverkennbarem Nutzen auch auf die Moralität der Kinder wirken; denn es kann nur böse, wenigstens keine wohltätigen Eindrücke bei diesen erwecken, wenn sie stundenlang dem Viehtöten zusehen, wozu ihnen jede Stelle der Stadt Gelegenheit gibt.“ Zur Feier des Tages der Einweihung am 29. Juni hatten einige Privatleute und Oberbürgermeister Brüning eigens einen Ochsen gestiftet, der vor Ort öffentlich geschlachtet wurde. Damit war das Haus eröffnet.

Die Geschichte der Schlachthöfe im 19. Jahrhundert zählt zu den wesentlichen Maßnahmen der Entwicklung einer großstädtischen Infrastruktur, zu der ab der zweiten Hälfte auch die neuentdeckte „soziale Hygiene“ zählte. Deren Bedeutung wuchs, da in der Industrie erprobte Formen der Mechanisierung und Arbeitsteilung jetzt auch auf die Schlachtung, Tierverarbeitung und insgesamt die Produktion von Nahrungsmitteln übertragen wurden. Das preußische Schlachthofgesetz von 1868 förderte insbesondere in den großen Städten den Bau von kommunalen Schlachthöfen. Und weil das aufstrebende Bürgertum der Zeit sich auch gern selbst inszenierte und Selbstbewusstsein durch passende Stilelemente zur Schau trug, entstanden diese nicht selten in architektonischen Geschmacksformen des damals angesagten Historismus. 1879 wurde die städtische Schlachtanlage Elberfelds an den Arrenberg, unmittelbar an die Gleise des Steinbecker Bahnhofs verlegt. Hier fand sich Platz für die zügige Expansion in Form von Ställen, Schlachthäusern nebst Kessel- und Kühlhaus. Dies bot die Möglichkeit, die privaten Schlachtstellen übersichtlich zu konzentrieren und einer öffentlichen „Fleischbeschau“ zuzuführen. In Preußen galt dann ab 1881 der Schlachthauszwang. Ein lukrativer Zwang. Die Ausbreitung von Viehhöfen in Kombination mit Großschlachtereien erwies sich in der Folge als äußerst profitabel für die Städte, soweit sie sich die Investition denn finanziell leisten konnten. Elberfeld und Barmen konnten. Ganz anders als in den gigantisch wuchernden, „neuen“ Industriedörfern an der benachbarten Ruhr. Dort blieb etwa der im 19. Jahrhundert noch größte deutsche Schweinemarkt in Altenessen, dessen Auftrieb 1897 die stolze Zahl von 450 000 Tieren erreichte, „wild“, das heißt ungeregelt. Die dortige Gemeindeverwaltung benötigte noch Jahrzehnte, um diesen chaotischen Markt in einen öffentlichen zu überführen, dessen private Stallungen also ein ständiger Seuchenherd blieben. Öffentliche Gesundheitsvorsorge spielte in den finanzschwachen Arbeitergemeinden an der Ruhr nur eine untergeordnete Rolle. Längst aber war ein Prozess in vollem Gange, der in Chicagos Schlachthöfen in besonders brutaler Konsequenz praktiziert wurde: die Industrialisierung von Viehzucht und Viehverarbeitung. Fleisch für den Massenkonsum und in Pakete verpackt, die durch nichts mehr an ihre Herkunft erinnerten. Schweine und Rinder wurden auf Transportbändern von schlecht bezahlten Arbeitern im Minutentakt zerlegt. Die „Disassembly Lines“ mit geschlachteten Tieren an einer rund laufenden Kette, wo sich die Arbeiter nicht bewegen mussten, wenn sie immer das gleiche Stück Fleisch abschnitten, waren schließlich das Vorbild für Henry Fords Fließbänder in der Automobilindustrie. Der Unterschied: Tin Lizzy wurde zusammengesetzt und nicht zerlegt wie die Schweine.

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