Bergische Universität „Der Himmel steht allen Geschöpfen offen“

Dr. Heike Baranzke von der Bergischen Universität über den langen Weg der Debatte, ob Tiere eine Seele haben

 Jagdhund Pino hört nicht immer auf sein Herrchen – sicher ist für diesen aber: Auch der Hund hat eine Seele.

Jagdhund Pino hört nicht immer auf sein Herrchen – sicher ist für diesen aber: Auch der Hund hat eine Seele.

Foto: Uni

Pino ist ein dreijähriger italienischer Jagdhund. Er liebt und lebt sein Leben in Wuppertal, nicht immer nach den Vorstellungen seines Herrchens. Aber eines ist sicher: Pino hat eine Seele. Doch was ist das eigentlich genau? An der Bergischen Universität lehrt die Ethikerin Dr. Heike Baranzke in der Katholischen Theologie. Das Thema Tierseele beschäftigt die Wissenschaftlerin schon seit Jahren. Die ersten Aufzeichnungen dazu gehen zurück in die vorchristliche Zeit der abendländischen Geistesgeschichte, in der kluge griechische Köpfe die ersten Texte zur Seele schufen, die wir bis heute deuten und interpretieren.

„Ich muss mit dem Menschenbild anfangen“, sagt Baranzke, „man kann vom Tier nicht reden, ohne vom Menschen zu reden. So, wie wir das Tier entwerfen, machen wir immer viele Aussagen, wie wir uns eigentlich selber sehen. Die Frage nach der Tierseele beinhaltet immer auch eine anthropologische Identitätsdebatte.“

Und die beginnt in der systematisch komplexeren Form schon bei Platon mehr als 400 Jahre v. Chr. Platon und seine Nachfolger greifen dabei auf ältere heterogene Traditionen über die Seele zurück, die sie mit dem Lebensatem oder auch mit dem Blut in Verbindung gebracht hatten als augenscheinlichen Trägern der Erfahrung von Lebendigkeit. „Und wenn Menschen sterben, sei es auf natürliche Weise oder auf dem Schlachtfeld oder aber, wenn man beobachtet, dass man Tiere tötet, also durch Schlachten das Blut entweicht, oder eben auch der Atem entweicht, dass damit dieses Lebensprinzip, die Seele, auch entweicht.“

Platon baut die Seele nun erstmals zu einer Lehre von den drei Seelenteilen aus: „Bei Platon haben wir noch die Nähr- und Triebseele, die saß im Unterleib, die tierische Mut- Affekt- und Empfindungsseele im Herzen und die intellektive Seele, die im Gehirn saß.“ In Analogie zu dieser Seelenteile-Hierarchie habe sich Platon auch den Aufbau der Staatsordnung gedacht. „Der Staat wird geleitet von den Philosophen, die denken, wird beherzt verteidigt durch die tapferen Soldaten und die Händler und Bauern haben an der Basis für die Ernährung zu sorgen.“

Eine Generation später habe der Platonschüler Aristoteles die über den Körper verteilte Seelenteilelehre in eine Seelenvermögenslehre umdefiniert mit Sitz im Herzen. „Er war ja nicht nur Ethiker, sondern auch ein begeisterter Naturbeobachter und Arzt.“ Diese naturphilosophische Seelenvermögenslehre des Aristoteles, nach denen Pflanzen, Tiere und Menschen über unterschiedlich viele Seelenvermögen verfügten, sei sukzessive, das könne man in der Spätantike sowie im Zuge der mittelalterlichen Alchemie verfolgen, physiologisiert oder mechanisiert worden. Das bedeute, der alte sehr umfängliche Seelenbegriff sei in unserer Philosophie- und Geistesgeschichte intellektualistisch zusammengeschrumpft und als charakteristisches Unterscheidungsmerkmal zwischen Mensch und Tier aufgefasst worden. Pflanzen und Tiere galten als seelenlose Automaten, während einzig dem Menschen eine unsterbliche Geistseele in der Körpermaschine zugestanden wurde.

Tiere spielen in der Menschheitsgeschichte eine wichtige Rolle. In vielen Ländern wurden sie sogar als Götter verehrt und auch in der Bibel haben sie eine wichtige Funktion. In der Arche Noah-Geschichte bilden sie nach der Sintflut einen Bund mit den Menschen und im Buch Hiob heißt es sogar: Doch frag nur die Tiere, sie lehren es dich. Das klingt nach viel Gleichberechtigung, die sich aber schnell verschiebt. Das liege daran, dass im Alten Testament, welches wir mit dem jüdischen Volk teilen, noch eine von den alten Ägyptern übernommene reichhaltige Weisheitslehre und ein hohes Interesse an Naturbeobachtungen in schöpfungstheologischen Texten tradiert wurde.

Der Atem des Schöpfers
weht durch ihre Kehlen

So geht die Paradieserzählung im zweiten Kapitel des Genesisbuchs und Psalm 104 selbstverständlich von der Ähnlichkeit von Mensch und Tier hinsichtlich der Empfindungsfähigkeit und Lebendigkeit aus. Menschen und Tiere gelten als lebendige Wesen, durch deren Kehlen der Atem des Schöpfers weht. Im Neuen Testament habe man sich dagegen nicht viele Gedanken über die Mensch-Tier-Beziehung gemacht, und das hatte auch einen Grund.

Dazu Baranzke: „Paulus ist der erste, wirkmächtigste Theologe, der um 50 nach Chr. die ersten Briefe nach dem Tod Jesus von Nazareth schreibt, den er nur vom Hörensagen kannte. Jesus von Nazareth, der Gekreuzigte, ist Gottes Sohn, und er wird bald wiederkommen. Vor dem Hintergrund der Nah­erwartung ist es nachvollziehbar, dass Paulus und seine Zeitgenossen nicht mehr viel Energie auf die langfristige Regulierung von Lebensbereichen verwendeten, die nicht unmittelbar mit dem Seelenheil und der Gottesbeziehung zu tun zu haben schienen.“

Im Gegenzug seien es vor allem protestantische Dissidentenbewegungen wie die Pietisten gewesen, die eine Gegenposition entwickelt hätten. „Das Leiden in der Welt wurde von ihnen als nichts spezifisch Menschliches wahrgenommen, sondern als etwas, was Menschen und Tiere verbunden hat“, sagt Baranzke. Daher hätten die Pietisten, die im Menschen vor allem den Sünder sahen, der das Leiden durch die Ursünde in die Welt gebracht hatte, es als religiöse Verpflichtung des Menschen betrachtet, das Seufzen aller leidenden Kreatur zu mindern. „In Zuge dieses mitgeschöpflichen Verantwortungsethos haben die Pietisten nicht nur Waisenhäuser und Suppenküchen für die Armutsbekämpfung, sondern gleichermaßen Institutionen für das Leid der Tiere gegründet. Die ersten Tierschutzvereine sind protestantischen Ursprungs.“

Aussagen über die Seele von Tieren in der Katholischen Kirche sind rar, dennoch gibt es sie. Der Vatikan bestätigt unter Papst Johannes Paul II., dass „auch die Tiere einen Lebensatem von Gott erhalten haben“, und Papst Franziskus sagt: „Der Himmel steht allen Geschöpfen offen.“ Wie kommen solche Aussagen, die als erste Vorboten zur Anerkennung einer unsterblichen Tierseele angesehen werden könnten, zustande? Dazu beigetragen haben nach Baranzkes Meinung sicher die Ökobewegung der 70er und 80er Jahre sowie der Konziliare Prozess für Gerechtigkeit, Frieden und Bewahrung der Schöpfung, der vom Ökumenischen Rat der Kirchen einflussreich initiiert wurde. Selbst die Politik habe damals häufig von der Bewahrung der Schöpfung gesprochen und so das Thema gesellschaftlich verankert.

Ein Paradoxon sei am Ende noch erwähnt. Das englische Wort Tier (animal) kommt von dem lateinischen Wort anima. Und das bedeutet Seele. Unterdessen zieht der italienische Jagdhund in seinem Freilaufgelände wieder seine Runden, hebt die Ohren beim Ruf, wechselt die Richtung, wenn sich Herrchen abwendet, träumt selig auf seiner Schlafdecke und ahnt nicht, wie lange wir uns schon mit seiner Spezies beschäftigen.

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