1918: Revolution im Wupper-Tal Wuppertaler Delegierte erhoben ihre Stimmen beim Reichsrätekongress

Wuppertal · 1918 wurde in Berlin der Termin für die Wahl zur Nationalversammlung bestimmt – mit Stimmen aus Elberfeld und Barmen.

 Das Verlagsgebäude der „Freien Presse“ an der Robertstraße um 1926. Um den Besitz der Zeitung und des Gebäudes wurde im November 1918 heftig gestritten. Nur der rechte Teil, das ehemalige Druckhaus an der Wilbergstraße, blieb erhalten. Im heutigen „Johannes-Rau-Haus“ befinden sich die Büros des SPD-Unterbezirks.

Das Verlagsgebäude der „Freien Presse“ an der Robertstraße um 1926. Um den Besitz der Zeitung und des Gebäudes wurde im November 1918 heftig gestritten. Nur der rechte Teil, das ehemalige Druckhaus an der Wilbergstraße, blieb erhalten. Im heutigen „Johannes-Rau-Haus“ befinden sich die Büros des SPD-Unterbezirks.

Foto: Anzeige Dari Elberfeld 1926

Mitte Dezember sollte in Berlin der „Allgemeine Kongress der Arbeiter- und Soldatenräte“ zusammentreten. Erstmals berieten die auf lokaler Ebene entstandenen Arbeiter- und Soldatenräte, die Träger der Revolution, auf nationaler Ebene über die weitere Entwicklung in Deutschland. Aus dem Regierungsbezirk Düsseldorf konnten 19 Delegierte entsandt werden. Das war nach dem Freistaat Sachsen – mit 28 Delegierten – die größte Einzelgruppe aus einem Bezirk. Zur Nominierung der Delegierten lud der Bezirksausschuss am 9. Dezember 1918 die Vertreter der 12 Kreise der Region zu einer Bezirkskonferenz nach Barmen, ins Hotel „Olympia“.

Die westlichen Bereiche des Bezirks, der Niederrhein westlich des Rheins und einige rechtsrheinische Städte, standen jedoch unter alliierter Besatzung. Hier hatten sich die Arbeiter- und Soldatenräte entweder nicht etablieren können oder die Entsendung von Delegierten wurde von den Machthabern unterbunden. So waren auf der Konferenz nur sieben Kreise, vor allem das Bergische Land und die Städte Duisburg und Essen vertreten. Der von der USPD – den Unabhängigen Sozialdemokarten – dominierte Bezirksvorstand brachte eine Vorschlagsliste ein, auf der jedoch keine SPD-Mitglieder vertreten waren. Die Elberfelder Delegierten protestierten gegen diese einseitige Zusammensetzung des Wahlvorschlages, konnten sich aber nicht durchsetzen. Die USPD hatte in den Räten im Bezirk die Mehrheit und beharrte auf dem Mehrheitswahlrecht. Sie wollte das Prinzip der Verhältniswahl nicht anerkennen.

So entsandte der Elberfelder Arbeiter- und Soldatenrat auf eigene Faust einen Delegierten nach Berlin: Ernst Dröner, der Kopf der Elberfelder Sozialdemokraten, später Mitglied in der Nationalversammlung und erster sozialdemokratischer Beigeordneter von Elberfeld. Der Streit um die Mandate wurde dann vor der Wahlprüfungskommission des Rätekongresses in Berlin weitergeführt und schließlich sogar vor dem Plenum des Rätekongresses dargelegt. Per Votum des Rätekongresses konnte Ernst Dröner schließlich sein Sondermandat wahrnehmen. Er war der einzige „Regierungssozialist“ aus dem linken Bezirk Niederrhein. Von den 19 Delegierten aus dem Regierungsbezirk kamen fünf aus den Städten Elberfeld und Barmen: Max Löwenstein, Textilkaufmann in Barmen, zeitweise Vorsitzender des Arbeiter- und Soldatenrats in Barmen. Otto Ibanetz, Steindrucker und Vorsitzender des Arbeiter- und Soldatenrats in Elberfeld. Wilhelm Backhaus, Metallarbeiter, Gewerkschaftsangestellter, Mitglied des Arbeiter-und Soldatenrats Barmen. Diese drei gehörten der USPD an. Ernst Seidel, ebenfalls Steindrucker, war Mitglied des Spartakusbundes aus Barmen-Wichlinghausen. Obwohl er schon 34 Jahre alt war, hatte man ihn als Vertreter der Arbeiterjugendorganisationen des Regierungsbezirks nominiert. Ernst Dröner, hauptamtlich Bezirkssekretär der SPD, war der einziger Vertreter der SPD. In Elberfeld war er vor allem als Vorsitzender des Aufsichtsrats der Elberfelder Konsumgenossenschaft Befreiung bekannt. Der Soldatenrat des Herzogtum Anhalt hatte einen weiteren Wuppertaler zum Rätekongress entsandt: den Soldaten Ferdinand Benker, der seinen Wohnort in der Elberfelder Südstadt hatte.

Aus der Nachbarstadt Cronenberg hatte man den damals 42-jährigen Hermann Herberts aus Sudberg entsandt. Hermann Herberts war Inhaber einer Schleiferei, gehörte der USPD an und war Vorsitzender des Cronenberger „Volksrates“- wie sich der dortige Arbeiter- und Soldatenrat nannte. Sein Sohn Hermann Herberts jun. (1900-1995), der spätere Oberbürgermeister von Wuppertal, war damals gerade 18 Jahre alt und sammelte erste politische Erfahrungen als USPD-Parteisekretär in Remscheid. Die Herkunft der Delegierten, ihre Berufe und Lebensläufe, lassen Rückschlüsse darauf zu, welche Bevölkerungsschichten damals hinter den Räten standen. Cronenberg, Ronsdorf und auch Vohwinkel gehörten damals zum Reichstagswahlkreis Remscheid-Lennep Mettmann. Insbesondere Cronenberg und Ronsdorf waren stärker nach Remscheid, der Hochburg der linken USPD, orientiert. Aus Remscheid stammte auch Otto Brass, der der Delegation des Regierungsbezirkes Düsseldorf vorstand. Brass war Feilenhauer, (gewählter) AOK-Krankenkassenangestellter und Verleger der Remscheider Arbeiterzeitung „Bergische Volkstimme“, die auch in Cronenberg viel gelesen wurde.

Die Zusammensetzung der Delegation zeigte, welchen politischen Einfluss die beiden Wupperstädte damals hatten: sieben der 19 niederrheinischen Delegierten stammten aus dem heutigen Wuppertal. Beim Blick auf die Berufe der Delegierten fällt auf, dass es sich häufig um Steindrucker, Bäcker, Metallarbeiter oder Maurer handelte, die sich durch politisches oder gewerkschaftliches Engagement zu hauptamtlichen Funktionären in den Gewerkschaften, den Arbeiterparteien, den örtlichen Konsumgenossenschaften oder den Krankenkassen entwickelt hatten.

Der Reichsrätekongress in Berlin setzte sich aus ca. 490 Räte-Vertretern zusammen. Friedrich Ebert hielt das Grußwort. Die MSPD stellte 288 Teilnehmer, der USPD gehörten 90 Delegierte an und dem Spartakusbund wurden zehn Delegierte zugerechnet. Die von der USPD dominierte Delegation aus dem Regierungsbezirk Düsseldorf gehörte somit zur Minderheit des linken Flügels. Ihr Sprecher Otto Brass war einer der wichtigen Redner auf dem viertägigen Kongress. Immer wieder verlangte Brass den Schutz und die Weiterführung der Revolution und wies auf ungebrochenen Einfluss der konterrevolutionären Armeeführung, der Obersten Heeresleitung hin.

Die „Freie Presse“ war wichtigstes Medium für Parteimitglieder

Mit großer Mehrheit entschieden sich die Delegierten für die baldige Wahl zur konstituierenden Nationalversammlung und gegen ein Rätemodell. Sie folgten damit den Vorstellungen von Friedrich Ebert, die auf ein baldiges Ende der revolutionären Umwälzung abzielten. Zu verbindlichen Beschlüssen kam es auch bei zwei weiteren Punkten: Der Kongress forderte eine Demokratisierung des Heeres – zu der etwa die Wahl der Offiziere durch die Mannschaften zählte – und die „Sozialisierung der Wirtschaft“. Arbeiterräte sollten künftig maßgeblichen Einfluss auf die Volkswirtschaft ausüben. Die Umsetzung dieser beiden Punkte führte zwei Monate später, im Februar 1919, zu heftigen, teils gewaltsamen Konflikten – nicht nur in Elberfeld.

Am 19. Dezember 1918, während in Berlin der Rätekongress tagte, erschien in Elberfeld die erste Ausgabe der „Volkstribüne. Organ des werktätigen Volkes von Elberfeld-Barmen“. Die Gründung der USPD-Zeitung war nötig geworden, weil sich die beiden sozialdemokratischen Schwesterparteien, die USPD und die SPD – nicht über den Besitz der Parteizeitung „Freie Presse“ und die gemeinsame Nutzung der Druckerei an der Robertstraße einig werden konnten. Im November hatte dieser Konflikt sogar zu einer wechselseitigen Besetzung des Verlagshauses an der Robertstraße geführt. Die Zeitung war das wichtigste Medium, um die eigene Anhängerschaft zu informieren und zu aktivieren. Für eine Partei mit revolutionärem, gesellschaftsveränderndem Anspruch war sie – gerade in revolutionären Zeiten – ein unverzichtbares Werkzeug. Die USPD war die mitgliederstärkste Partei in Elberfeld-Barmen und monatlich kamen bis zu 600 neue Mitglieder hinzu. Während des Kongresses eröffnete die USPD die Redaktionsräume ihrer neuen Zeitung im gleichen Gebäudeblock wie die „Freie Presse“, im Nachbarhaus Robertstraße 6. Als Gründer der Zeitung kann Walter Stoecker gelten, der in nur vier Wochen die Redaktion, den Vertrieb und die Finanzierung – auf genossenschaftlicher Basis - aus dem Boden stampfte. Walter Stoecker kam aus Köln und nahm schon bald eine wichtige Stellung im Elberfelder Arbeiterrat ein.

Der Rückhalt der USPD in den Gewerkschaften war stark. Schon die erste Nummer der Volkstribüne erschien mit dem Untertitel „Publikationsorgan der freien Gewerkschaften“. Im Januar kam dann der Untertitel „Organ der Arbeiterräte Elberfeld-Barmen“ hinzu. Am 21. Dezember, dem letzten Tag des Rätekongresses in Berlin, schrieb der Redakteur im Leitartikel über den Kongress: „Die bürgerliche Presse jubelt, die gesamte Bourgeoisie ist trunken vor Freude wie nach einer gewonnenen Schlacht. Abend- und Morgenblätter bringen in Siegesstimmung diese Gefühle zum Ausdruck. Auf der Rätetagung in Berlin haben proletarische Elemente kapitalistische Geschäfte gefördert. (…) Mit der Nationalversammlung hofft es (- das Bürgertum -), die Sozialisierung der Wirtschaft aufzuhalten, wenn nicht ganz zu vereiteln. Je früher die Nationalversammlung, desto weniger Gelegenheit hat die Revolutionsregierung für die Sozialisierung geeignete Schritte zu tun.“

Stoecker, vermutlich der Autor dieser Zeilen, blieb zwar nur ein gutes halbes Jahr im Wuppertal, doch in dieser kurzen Zeit erwarb er sich als Organisator, Redakteur, Redner, Stadtverordneter und Abgeordneter der preußischen verfassungsgebenden Versammlung überregionales Ansehen. Im Sommer 1919 ging er als Abgeordneter nach Berlin und wechselte mit dem linken Flügel der USPD wenige Monate später zur KPD. In den 1920er Jahren wurde er Vorsitzender der KPD-Fraktion im Deutschen Reichstag. 1939 starb Walter Stöcker als Häftling im KZ Buchenwald.

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