Kirche Wie die Kirche mit sexuellem Missbrauch umgeht

Die Gemeinde St. Laurentius hat als eine der ersten im Bistum einen Verhaltenskodex entwickelt. Und sucht mit einer Filmvorführung die öffentliche Diskussion.

Eine Szene aus dem Film „Spotlight“, den die Gemeinde St. Laurentius zum thema Missbruach zeigt.  Foto: dpa

Eine Szene aus dem Film „Spotlight“, den die Gemeinde St. Laurentius zum thema Missbruach zeigt. Foto: dpa

Foto: Kerry Hayes/Open Road Films/Paramount/dpa

Ist es richtig, in der Gemeindefreizeit ein Kind mit Heimweh in den Arm zu nehmen? Für manche Kinder ja, andere zeigen womöglich, dass sie sich damit unwohl fühlen. Dass die Empfindungen unterschiedlich sind, und wie Kinder ihre Grenzen zeigen – das sind zwei wichtige Themen, mit denen sich Mitarbeiter der Gemeinde St. Laurentius und Herz Jesu in Schulungen beschäftigen. Diese eintägigen Kurse sind ein Bestandteil eines umfassenden Präventionskonzepts der Gemeinde zum Schutz vor sexuellem Missbrauch. Mit einer Filmvorführung im Rex sucht sie zudem die öffentliche Diskussion.

Seit sieben Jahren führt die Gemeinde diese Schulungen durch, alle hauptamtlichen Mitarbeiter und alle Ehrenamtlichen, die mit Kindern oder Jugendlichen zu tun haben, müssen sie absolvieren – Erzieherinnen und Praktikanten, Reinigungskräfte und Jugendbetreuer. Mehr als 300 Personen hat Gemeindereferentin Daniela Löhr schon geschult, die in der Gemeinde für Missbrauchsprävention zuständig ist.

Dabei werden die Teilnehmer sensibilisiert, dass das Bedürfnis nach Nähe und Distanz individuell unterschiedlich ist und können das spielerisch bei sich selbst ausprobieren. Daniela Löhr nennt ihnen Daten, die sie selbst noch immer alarmieren: „Ich sage ihnen, dass in Deutschland jedes vierte bis fünfte Mädchen und jeder achte bis zehnte Junge missbraucht wurde. Das bedeutet, dass in jeder Ferienfreizeit betroffene Kinder dabei sind.“ Ebenso erschreckend findet sie: „Missbrauchte Kinder sprechen acht bis zehn Erwachsene an, bevor sie Hilfe bekommen.“

Missbrauch werde auch deshalb so spät erkannt, weil viele als Täter einen fremden bösen Menschen erwarten. Dabei seien das oft Personen, die über mehrere Jahre ein Vertrauensverhältnis aufbauen. Missbrauch habe eine Dynamik von Grenzverletzungen über Übergriffe bis zum strafbaren Missbrauch. Und sie warnt, dass kleine unbeabsichtigte Grenzverletzungen es böswilligen Tätern später leichter bei dem Opfer machen.

Die Kurse vermitteln, was vorbeugend getan werden kann, zum Beispiel Kindern deutlich machen, dass sie „blöde Geheimnisse“ weitererzählen dürfen. Wie Missbrauch erkannt werden kann – an unspezifischen Symptomen wie äußerlichen Veränderungen –, und was man bei Grenzverletzungen und Verdachtsfällen tun kann.

Schulungen und
Kodex zeigen Wirkung

Regeln für den Umgang mit Kindern und Jugendlichen hat die Gemeinde lange diskutiert und in einem „Verhaltenskodex“ festgehalten. Der behandelt den Umgang mit Nähe und Distanz, Sprache, Sozialen Netzwerken oder Geschenken. Und nennt Ansprechpartner innerhalb und außerhalb der Gemeinde, die bei Missbrauch und einem Verdacht darauf helfen. „Die Entwicklung eines solchen Kodex ist vom Bistum und der Stadt gefordert“, sagt Daniela Löhr. „Wir waren im Bistum eine der ersten Gemeinden, die das freiwillig gemacht haben.“

Vor einem halben Jahr haben sie den Kodex nach zwei Jahren Praxiserfahrung aktualisiert und eine Broschüre dazu gedruckt. Die liegt in der Kirche und kirchlichen Einrichtungen aus. Mitarbeiter, die mit Kindern und Jugendlichen zu tun hat, müssen unterschreiben, sich an den Kodex zu halten.

Schulungen und Kodex haben inzwischen Wirkung gezeigt. Daniela Löhr nimmt eine größere Aufmerksamkeit für das Thema wahr und mehr Bereitschaft, darüber zu sprechen. Es gebe Meldungen, was zeige, dass das Meldesystem funktioniere. „Was wir hören, beinhaltet alles. Es sind Vorfälle aus der Gemeinde aber auch aus den Nachbarschaften, Familien- und Freundeskreisen. Diese reichen leider bis zu Vergewaltigungen“, sagt sie ernst.

„Wir tun eine Menge“, ist sie überzeugt und weiß gleichzeitig: „Wir tun nie genug.“ Absolute Sicherheit gebe es nicht. Ihr sei aber wichtig zu zeigen: „Wir als Kirche ziehen uns nicht raus.“ Denn es gebe Bedingungen, unter denen Missbrauch häufiger auftrete: Wenn Sexualität tabuisiert wird, wenn es eine starke Über- und Unterordnung gebe oder es diffuse Strukturen gebe. Und weil das Thema breit diskutiert werden müsse, lädt die Gemeinde zu einer Vorführung des Films „Spotlight“ über die Aufdeckung von Missbrauch in der Katholischen Kirche in Boston/USA ein, bei der anschließend Kirchenvertreter mit Experten diskutieren.

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