Bühne Was der Revolutionär wohl von Tönnies gehalten hätte

Wuppertal · Engels-Revue „to go“ mit dem Lochsemble.

 Holte Engels ins 21. Jahrhundert: das Lochsemble bei seiner Revue im Engelsgarten.

Holte Engels ins 21. Jahrhundert: das Lochsemble bei seiner Revue im Engelsgarten.

Foto: Fischer, Andreas H503840

Engelshaus, Boule-Bahn, Wupper: Das sogenannte „Lochsemble“ machte das Areal um den Engelsgarten am Wochenende einfallsreich zur Bühne. Von Station zu Station gab es einen Performance-Reigen zwischen Historie und Heute, mit mancherlei Überraschung - sogar mitten auf der B7.

Die aus Bochum stammende Truppe um Bina Noss wurde vom Elberfelder Kulturort Loch gewonnen und konzipierte vor Ort eine Art Engels-Revue „to go“. Um die Szenenfolge zu erleben, traf man sich am Engelshaus, wo Theaterfrau Noss begrüßte - flankiert von einer „Rosa Luxemburg“ als Pappfigur mit Distanzfunktion: „Äußerlich war sie eine kleine Frau von eins fünfzig - und diesen Abstand müssen wir heute auch einhalten.“ Das mochte schon andeuten, was sich im gut eine Stunde dauernden Fortgang bestätigte: Diese Begegnung mit Jubilar Engels ist nicht zuletzt auch skurril und ein Hingucker.

Unterhaltsamen Einblick  mit aktuellem Fokus auf den Barmer Revolutionär bietet das Programm,  setzt dabei Gedanken des Kapitalismuskritikers spielerisch zu unserer (Arbeits-)Welt in Bezug. Dazu gehören Engels‘ Aussagen zur Fabrikmaloche und ihren Folgen: „Die Arbeitsbedingungen sind geradezu dazu gemacht, den Arbeitern jede Kraft und Lebenslust zu rauben“, prangert Andre Dinter, in Anzug und im Gestus eines Volkstribunen, als Engels an. Er meint seine Gegenwart, die Frühindustrialisierung in Textilbetrieben wie dem seines Vaters, doch mehr als einmal setzt die Truppe Aktuelles daneben.

So kontert Sahar Raie  mit dem Stichwort „Tönnies“. Die Verhältnisse im Schlachtbetrieb unserer Zeit, bekanntlich erst durch Corona so recht im Blick: Als modernes Pendant zum stumpfen Dienst in frühen Stofffabriken scheint der Vergleich sofort einleuchtend. Den stellt sie aber nicht bloß trocken verbal her, sondern mit dramatischen Gesten - und, Stichwort skurril, mit Schweinsmaske. Damit nicht genug, arbeitet sie sich zum Thema später an der Cragg-Skulptur mitten auf der Straße ab - expressiv bis frivol und zu wummernden Klängen, die an monotone Maschinen gemahnen. Nicht nur bei Vorbeifahrenden sorgt das gebührend für Erstaunen.

Skurrile  Begegnungen
mit aktuellem Bezug

Viele Wuppertaler wissen aber: Nicht nur die Jugend des Sozialisten ist (häuslich) im  Engelsgarten präsent, hier wurde auch neuere Geschichte geschrieben. Traf hier doch 1987 Erich Honecker beim Staatsbesuch mit Udo Lindenberg zusammen, der ihm eine Gitarre überreichte. Mehr als ungelenker Bürokrat denn als Despot mag der DDR-Regierungschef in Erinnerung geblieben sein. Wem diese schon für sich schräge Episode nun in den Sinn kam, der fand hier nun deren Fleisch gewordene Slapstick-Version: Ein Junge, der schon zu Beginn als „Fritz“ geglänzt hatte, trieb nun als rockender „Erich“ die Bizarrerie auf die Spitze.

Während indes die plastische Vorstellung von Hegels Dialektik auf der Boulebahn etwas oberlehrerhaft geriet, ging der Spaziergang am Wupperufer beschaulich zu Ende - für Darsteller Dinter freilich noch einmal mit Körpereinsatz und gar Wasserkontakt. Doch nicht alles soll hier verraten sein: Kommenden Freitag und Samstag gibt es nach Online-Reservierung noch zweimal Gelegenheit, dem durchaus zeitgemäßen Denker hier etwas anders zu begegnen.

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