Befragung von Mandatsträgern Studie der Uni Wuppertal zeigt: Jeder dritte Politiker im Städtedreieck wird bedroht

Wuppertal · Anpöbeln, anspucken, tätliche Angriffe bei persönlichen Begegnungen, Todesdrohungen, Beleidigungen per Mail oder Internet: Auch im Bergischen Land bleibt Kommunalpolitikern nicht erspart, was anderswo schon im großen Stil passiert.

 Bei dem Auftritt  von Annalena Baerbock in Wuppertal warf ein Demonstrant ein Ei auf die Bühne.

Bei dem Auftritt  von Annalena Baerbock in Wuppertal warf ein Demonstrant ein Ei auf die Bühne.

Foto: Fries, Stefan (fri)

Ein Drittel der Amts- und Mandatsträger im Städtedreieck hat nach einer aktuellen Studie der Bergischen Universität Erfahrungen mit Bedrohungen und Gewalt machen müssen. Zu diesen erschreckenden Ergebnissen kommt die nicht-repräsentative Online-Umfrage unter Bürgermeistern, Stadtverordneten und Bezirksvertretern, die der Soziologe Peter Imbusch und sein Team von der Bergischen Universität im vergangenen Dezember durchgeführt haben.

„Unsere Studie zielte darauf ab, die konkreten Erfahrungen und Erlebnisse der Politikerinnen und Politiker in Wuppertal, Solingen und Remscheid sichtbar zu machen“, beschreibt Imbusch das Momentum der Umfrage. 83 der 263 angeschriebenen Politikerinnen und Politiker füllten den umfangreichen Fragebogen der Forscher aus: eine Rücklaufquote, die nach den Erfahrungen der Wissenschaftler im oberen Bereich liegt und schon ein Indiz für den Grad der Betroffenheit ist.

Die Ergebnisse der regionalen Studie zeigen deutlich: Die Gewalt- und Bedrohungslage gegenüber den politisch Verantwortlichen hat nach der übereinstimmenden Meinung der Befragten deutlich zugenommen. 73 Prozent haben eine solche Zunahme festgestellt. Dieser hohe Wert korrespondiert mit der bundesweiten Statistik: Nach aktuellen Erkenntnissen des Bundesinnenministeriums hat sich die Anzahl der erfassten politisch motivierten Straftaten gegen Stadtpolitiker in den letzten Jahren verdreifacht.

Studie der Uni Wuppertal: Wissenschaftler befürchten eine „massive Gefahr für die Demokratie“

Dass dieser besorgniserregende Trend keinen Bogen um das Bergische Städtedreieck macht, ist kaum verwunderlich: Jeder sechste der Befragten gab sogar an, dass die Sorgen um die eigene Sicherheit und die der Familie Konsequenzen für Amtsführung und/oder Privatleben haben. So wird beispielsweise Pfefferspray mitgeführt, es findet ein Rückzug aus sozialen Netzwerken statt oder – und das ist fast das Alarmierendste – man traut sich in umstrittenen Fragen nicht mehr, die eigene Position eindeutig zu vertreten.

Auch wenn über die Hälfte der befragten Politikerinnen und Politiker angab, dass sich die latente Angst nicht auf ihr Leben auswirkt, so befürchtet der Wuppertaler Wissenschaftler in dem weiter anschwellenden Phänomen eine „massive Gefahr für die Demokratie“, wenn kein Mittel gefunden wird, um diesen verheerenden Trend zu stoppen.

Peter Imbusch: „Gerade die Geschichte in Deutschland sollte zeigen, dass die Demokratie keinesfalls selbstverständlich ist, sondern eine fragile und stets gefährdete politische und gesellschaftliche Ordnung darstellt.“ Daher sieht der Soziologie-Professor nicht nur staatliche Institutionen wie Polizei und Justiz in der Pflicht, stärker und entschiedener gegen extremistische Gewalttäter vorzugehen. Es sei vielmehr eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe, gegen Verrohung, Hass und Gewalt und für die Demokratie und ein friedliches Miteinander einzutreten. Die größte Gefahr nach Meinung von 61 Prozent der Befragten droht hier von rechts. Linksextremismus oder religiöser Fanatismus werden nur von 20 Prozent als Quelle der Bedrohung betrachtet.

Studie der Uni Wuppertal: Zusammenhang von sozialen Medien und Radikalisierung

Dass es bei den meisten Befragten, die selbst Gewalt erfahren haben, meist bei verbaler Bedrohung geblieben ist und es nur in Ausnahmefällen zu tätlichen Angriffen gegen Menschen oder Einrichtungen kam, ist kaum ein Trost. Denn nicht nur nach Überzeugung der befragten Kommunalpolitiker folgen den Worten, die in den Filterblasen der sogenannten Sozialen Netzwerke meist zu regelrechten Hasstiraden anschwellen, womöglich leichter Taten. Zwei Drittel der befragten Amtsinhaber sind der Ansicht, dass durch die sozialen Medien eine Radikalisierung von Personen und Gruppen stattfindet. Die Anonymität des Internets biete zugleich Schutz vor Verfolgung und Strafe und motiviere in entsprechenden Kontexten gerade dazu, Gewalt gegen Politiker auszuüben.

Was passiert nun mit den alarmierenden Erkenntnissen der Wuppertaler Forscher? Geplant ist, die regionale Befragung in eine bundesweite Studie einfließen zu lassen, die neben Politikern auch andere Berufsgruppen und öffentliche Personenkreise einbezieht, die relevant für eine funktionierende Demokratie sind. Die Bergische Universität hat jedenfalls schon einmal Mittel aus dem zentralen Forschungsförderungstopf bewilligt, um ein weitergehendes Forschungsprojekt beim Bundesforschungsministerium zu beantragen.

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