#ReporterTausch2019 Wuppertal oder die Schönheit auf den zweiten Blick

Wuppertal · Wuppertal wird häufig in einem Atemzug mit der Schwebebahn genannt. Tauschreporter Michael Fischer lernt, dass die Stadt weitaus mehr zu bieten hat und erkundet sie von oben aus der Vogelperspektive.

 Letzte Besprechung vor dem Abflug: Pilot und Fotograf am Flughafen Loemühle in Marl.

Letzte Besprechung vor dem Abflug: Pilot und Fotograf am Flughafen Loemühle in Marl.

Foto: ja/Michael Fischer

An einem sonnigen Vormittag gleitet eine weiße Cesna durch die Luft und macht die große Welt ganz klein. Menschen werden zu Streichhölzern, Häuser zu Pappkartons, das Leben unten wirkt wie von einem leidenschaftlichen Modellbauer kunstvoll zusammengestellt, als hätte ein Maler ein buntes Wimmelbild aus allen Farben dieser Welt malen wollen.

Nur: Wo ist die Stadt, die für eine Woche meine Heimat ist?

Wuppertal hat sich gut versteckt. Mit Fotograf Peter Sondermann, der seit mehr als 30 Jahren Luftbilder macht, sitze ich in einem kleinen Flugzeug, mit dem uns Pilot Carsten Liska vom Flugplatz Loemühle in Marl nach Wuppertal bringt. Doch in der Luft ist es wie im Alltag. Wuppertal? Nicht zu sehen.

Neue Perspektive: Wuppertal von oben.

Neue Perspektive: Wuppertal von oben.

Foto: ja/Michael Fischer

Als ich den Menschen daheim in Franken, in Nürnberg und in Fürth, davon erzählt habe, dass ich eine Woche lang als Tauschreporter in Wuppertal arbeiten würde, da schüttelten manche den Kopf, andere sagten nur ein Wort: Schwebebahn. Mehr hat diese Stadt also aus Sicht vieler Franken nicht zu bieten.

Und ich habe bewusst nicht recherchiert, was Wuppertal sonst zu bieten hat. Ich wollte mich einlassen auf diese Stadt, sie mit jedem Schritt besser kennenlernen und mir ein eigenes Bild von ihr machen.

Und dann: Primark. Das erste, was einen als Bahnfahrer empfängt, ist eine irische Billig-Modekette. Nun gut, zumindest die Architektur hat etwas. Der erste Spaziergang bei Tageslicht führt, dank des Handy-Navis, dann direkt an der Bundesallee entlang. „Die Schönheit Wuppertals erschließt sich erst auf den zweiten Blick“, sagt einer der neuen Kollegen schließlich - und wird recht behalten.

Denn Wuppertal ist mehr als eine derzeit nur zu Probezwecken fahrende Schwebebahn. Mehr als Primark. Mehr als der WSV. Und vor allem ist es nicht das, was man als Franke womöglich von der Stadt erwartet: grau und trist. Im Gegenteil. Wuppertal ist grün, so grün, wie nur wenige Großstädte in Deutschland. Und groß, so groß, wie nur wenige Großstädte in Deutschland.

Doch wer auf dem Marler Flughafen Loemühle in eine weiße Cesna steigt und nach Wuppertal fliegt, sieht lange nur Grün. Die Stadt hat sich wirklich gut versteckt, doch plötzlich taucht sie unter einem auf. So, als hätte sie jemand mit einem Knopfdruck ins Bild gesetzt. Auf dem Rücksitz zückt Peter Sondermann seine Kamera. Klick-Klick-Klick.

Das perfekte Wetter für perfekte Luftbilder

Unter uns schlängelt sich die Nordbahntrasse wie ein schwungvoller Pinselstrich durch das Wimmelbild. Dann dreht Carsten Liska, unser Pilot, Kreise. Über dem Petrus-Krankenhaus, über der St. Anna-Klinik. Und wieder: klick-klick-klick. Das Wetter ist perfekt, hat Peter Sondermann erzählt, „die Sonne wirft nicht so harte Schatten“. Es ist hell, aber nicht zu hell. Also beugt er sich vor, öffnet das Fenster und fotografiert. Ein angenehm frischer Wind weht durch das kleine Cockpit - und trägt auch das drückende Gefühl in der Brust wieder ein bisschen fort.

Peter Sondermann kann nichts mehr schocken. Mehr als 3000 Stunden hat er in Cesnas verbracht, immer auf der Suche nach dem besten Bild. Doch mit jeder Minute am Himmel steigt die Sehnsucht nach der Erde. Kopfweh. Leichter Schwindel. Doch für eine Landung ist es zu früh. Weiter geht’s. Nächste Station: Uni-Campus Haspel. Als Sondermann seine Motive fotografiert hat, geht es auf den Heimflug.

Nach 51 Minuten berühren die Räder der Cesna wieder Marler Boden. Der erste Atemzug auf dem Rollfeld fühlt sich an wie eine Erlösung. Ich habe Wuppertal mit allen Sinnen erlebt: Mit dem Geräusch der Schwebebahn als ständigem Begleiter. Mit der guten Luft, die so gar nicht zur vermeintlich grauen Industriestadt passt, für die viele Wuppertal halten. Mit der kulinarischen Vielfalt im Mund. Und natürlich mit den unzähligen Eindrücken, die im Kopf bleiben.

Der zweite Blick auf die Stadt war ein wunderbarer, einer, den nur wenige Menschen bekommen. Und einer, der mir am vorletzten Tag als Tauschreporter noch einmal eindrücklich gezeigt hat, dass diese Stadt sehr viel zu bieten hat. Der aber auch gezeigt hat, dass sich Wuppertal nicht gut genug verkauft. Denn für viele Menschen, sicher nicht nur in Franken, ist Wuppertal eben nicht die siebzehntgrößte Stadt Deutschlands, nicht die „Großstadt im Grünen“, nicht die Heimat von Else Lasker-Schüler oder Friedrich Engels. Wuppertal versteckt sich. Leider nicht nur, wenn eine weiße Cesna durch die Luft gleitet.

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