Analyse Wuppertal ist die Hauptstadt der Schuldner in NRW

Fast jeder fünfte Wuppertaler ist überschuldet. Arbeitslose, Geringverdiener und Ältere sind stärker betroffen. Was tun?

Sozialdezernent Stefan Kühn.

Sozialdezernent Stefan Kühn.

Foto: Fischer, A. (f22)

Wuppertal. Diese Zahlen bieten sozialen Sprengstoff: Fast jeder fünfte Wuppertaler über 18 Jahren ist überschuldet. In Oberbarmen und einigen Straßenzügen entlang der Talachse steuert fast jeder Dritte erwachsene Wuppertaler einer Verbraucher-Insolvenz entgegen oder hat sie bereits hinter sich gebracht. Seit Jahren zählt Wuppertal im Schuldneratlas der Creditreform AG zu den Schlusslichtern. Unter 402 aufgeführten Städten und Kreisen belegt Wuppertal den 400. und damit drittletzten Rang.

In den Schuldner- und Insolvenzberatungen der Diakonie und Verbraucherzentrale bitten Menschen um Rat, die in den Statistiken als Zahlen auftauchen. Werner Bergmann kennt die Lage dieser Menschen, die oft erst dann zu ihm kommen, wenn die Not am größten ist. „Nach meiner Beobachtung ist nicht unkontrollierter Konsum, sondern Arbeitslosigkeit die Hauptursache. Viele Menschen erhalten zudem niedrige Löhne oder arbeiten Teilzeit. Wenn bei denen die Trennung vom Partner oder eine Krankheit hinzu kommt, geht ihre Rechnung nicht mehr auf“, sagt Werner Bergmann. Besonders gefährdet seien Alleinerziehende.

Die Arbeitslosenquote in Wuppertal erreichte 2005 mit 15,3 Prozent einen Höchststand. In den vergangenen Jahren hat sich die Quote zwischen neun und zehn Prozent eingependelt, die Zahl der Schuldner blieb fast gleich. Schuldnerberater wie Werner Bergmann von der Verbraucherzentrale oder Astrid Neumann-Look von der Diakonie können Menschen im Einzelfall Wege aus der Krise zeigen, doch das löst die strukturellen Probleme nicht. Was tun?

Sozialdezernent Stefan Kühn bietet keine schnellen Lösungen an. „Wir müssen neue Arbeitsplätze schaffen, denn in den vergangenen 25 Jahren ist die Zahl der sozialversicherungspflichtigen Arbeitsplätze von 150 000 auf 117 000 zurückgegangen. Daher ist eine Ansiedlung wie die von Ikea, die Arbeitsplätze schafft, auch aus Sicht des Sozialdezernenten eine gute Entwicklung“, sagt Kühn. Eine weitere Voraussetzung sei, dass existenzsichernde Löhne gezahlt würden. Ein Mindestlohn von acht Euro sei nicht ausreichend.

„Wir müssen als Stadt die Voraussetzungen dafür schaffen, dass Familie und Beruf vereinbar sind. Wir müssen weitere Kitas bauen, damit Frauen nicht ihren Arbeitsplatz aufgeben müssen, weil sie ihr Kind nicht versorgt wissen. Der Offene Ganztag muss ausgebaut werden, damit die Betreuung von Schülern gesichert ist“, fordert Stefan Kühn. Bei der Ausstattung mit Plätzen für Kinder unter drei Jahren belegt Wuppertal unter allen deutschen Großstädten den letzten Platz — das spiegelt den letzten Platz unter den Grostädten im Schuldneratlas. nur wider

Die Gefahr in der Schuldenfalle zu landen, trifft neben Zuwanderern aus Osteuropa, die schwierige Stadtbedingungen vorfinden, vor allem auch junge Menschen. „Die werden mit 18 Jahren unvorbereitet auf die Vertragswelt losgelassen und von den Unternehmen gesucht. Online-Einkäufe und Handyverträge können zu einer Überschätzung des eigenen Budgets führen. Es sind viele ohne Schulabschluss und Ausbildung darunter, denen die Einnahmen fehlen, um sich den Konsum der anderen zu leisten“, beschreibt Werner Bergmann eine Tendenz.

Die wachsende Altersarmut schlägt sich ebenfalls in den Statistiken nieder. „Die Renten sind teilweise so nierig, dass die Menschen nach dem Ende ihres Berufslebens laufende Raten nicht mehr zahlen können. Viele liegen mit ihrer Rente nur 100 Euro über der Grundsicherung. Das ist alte Schule, die haben ihre Rechnungen immer gezahlt, aber dann geht es nicht mehr. Wir raten ihnen, rechtzeitig zur Schuldnerberatung zu kommen. Das kann auch wegen 500 Euro sein“, sagt Astrid Neumann-Look. „Es kann schon hilfreich sein, einen Haushaltsplan aufzustellen. Oft bezahlen die Senioren für Versicherungen, die sie gar nicht benötigen“, berichtet Werner Bergmann. Eine geregelte Privatinsolvenz biete im schlimmsten Fall die Chance für einen Neuanfang.

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