Kolumne Von Tristesse zur lebenswerten Straße

Das Wuppertal Institut untersucht, wie Straßen zu Begegnungsorten werden können.

 Das Wuppertal Institut am Döppersberg.

Das Wuppertal Institut am Döppersberg.

Foto: Schwartz, Anna (as)

Wer sich in Wuppertal umschaut, merkt schnell: Die Gehwege sind oft zugeparkt, vielerorts sanierungsbedürftig und im Winter nur spärlich geräumt. Ist die Müllabfuhr unterwegs, schlängeln sich Menschen von einer zur anderen Straßenseite, stets auf der Suche nach dem kleinen Stück Gehweg, das die Stadtplaner einem noch zugestanden haben. Hinzu kommen Lärm, Feinstaub und eine graue Tristesse aus Asphalt und Beton, woran sich zeigt, warum die Menschen einem nur im Stechschritt begegnen: Sie sind nicht hier, um zu verweilen. Seit der Corona-Pandemie hat sich die Diskussion über den Wert und die Nutzung des öffentlichen Raums zusätzlich zugespitzt, weil verstärkt Fahrradfahrende unterwegs sind oder Gastronomen den Raum für die Außenbewirtung nutzen.

Doch welche Veränderungen braucht es, damit Straßen und Städte wieder lebenswert werden? Wie lassen sich innovative Ideen und Konzepte umsetzen? Diesen Fragen geht das Wuppertal Institut aktuell im Projekt „Machbarkeitsstudie: Lebenswerte Straßen, Orte und Nachbarschaften“ nach. Die Forschenden nutzen etwa gute Beispiele aus Wien, Kopenhagen und anderen Städten. Ihre Erkenntnisse übertragen sie auf ausgewählte Straßen in Dortmund und Gelsenkirchen. Zwar gibt es keine pauschale Antwort für jede Straße einer Stadt, dennoch helfen vier Leitlinien als Kompass für Planungsprozesse: Dazu gehört, dass Straßen nicht nur als Verkehrsraum, sondern als lebenswerter öffentlicher Raum zum Verweilen verstanden werden sollten. Ähnlich wie ein Ökosystem sollten Straßen das gleichberechtigte Nebeneinander verschiedener Personengruppen und Spezies (Tiere, Pflanzen) ermöglichen. Zudem sind sie Orte für Menschen und sollten daher so entwickelt werden, dass die Bedürfnisse von acht- und 80-jährigen Menschen gleichermaßen berücksichtigt werden. Straßen sind gleichzeitig auch „Energieproduzent“, indem sie, etwa durch Fassadenphotovoltaik, Energie erzeugen und Angebote für eine emissionsarme oder -freie Mobilität schaffen.

Wer heute ein Auto besitzt, hat dafür meist sehr gute Gründe. Aber ist der öffentliche Raum nicht zu wertvoll, um ihn parkenden Autos zu überlassen und damit die Bedürfnisse anderer, etwa von Kindern und Familien, hintenanzustellen? Für konkrete Lösungen hilft hier ein Blick ins Ausland: Wien hat mit dem 365-Euro-ÖPNV-Ticket eine erfolgreiche und freiwillige Alternative zum Auto geschaffen. Inzwischen gibt dort heute mehr Ticketabonnenten als KfZ-Halter. Die Zeitkarte zum Preis von umgerechnet einem Euro pro Tag berechtigt zum uneingeschränkten Fahren in einem bestimmten Gebiet. Im Amsterdamer Stadtteil Frans Halsbuurt wurde allen Anwohnern ein Stellplatz in der Quartiersgarage zugewiesen, um das Parken in der Innenstadt zu reduzieren.

Und in Wuppertal? Viele der internationalen Beispiele und konkreten Ideen aus dem Projekt lassen sich auch etwa auf die Wuppertaler Nordstadt, den Arrenberg oder Heckinghausen übertragen. Das Gelegenheitsfenster hierfür ist da und letztlich profitieren alle davon, wenn die Menschen den Straßenraum als das erleben können, was er einst war: ein lebenswerter Ort.

Die Machbarkeitsstudie „Lebenswerte Straßen, Orte und Nachbarschaften“ ist online zu finden unter:

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