Bergische Universität Wuppertal braucht flexible Lösungen für den Straßenverkehr

Wuppertal · Antoine Tordeux forscht zur Optimierung von Verkehrsströmungen – unter anderem am Robert-Daum-Platz.

Im Rahmen von „Bergisch Smart Mobility“ soll die Kreuzung Robert-Daum-Platz optimiert werden.

Im Rahmen von „Bergisch Smart Mobility“ soll die Kreuzung Robert-Daum-Platz optimiert werden.

Foto: Fischer, Andreas H503840

Als kürzlich auf der A3 zwischen Solingen und Köln die vierspurige Bahn mal wieder auf eine Spur verengt wurde, und sich die Reisezeit von 45 Minuten auf satte drei Stunden verlängerte, wurde Juniorprofessor Antoine Tordeux am eigenen Leibe verdeutlicht, wie wichtig seine Forschungen zur Optimierung von Verkehrsströmen sind. Der 37-jährige Franzose beschäftigt sich seit 2018 in seinem Fachgebiet Verkehrssicherheit/Zuverlässigkeit in der Sicherheitstechnik der Bergischen Universität unter anderem mit der Verkehrsflusstheorie.

„Die Verkehrsflusstheorie ist eine multidisziplinäre wissenschaftliche Theorie, mit der Ingenieure, Mathematiker, Physiker, Informatiker, Elektrotechniker, Soziologe und Psychologe interagieren, um den Verkehr zu verstehen“, sagt er. Es gebe viele Paradoxa, die die Wissenschaft bisher noch nicht verstanden habe. Daher finde diese Theorie vor allem Anwendung in der Entwicklung von Verkehrssimulationswerkzeugen, um Verkehrsnetze, Straßeninfrastrukturen und Managementstrategien zu testen und zu bewerten.

Das Prinzip
der Sanduhr

„Einfache Experimente an einer Engstelle, an der die Fahrbahn sich von zwei Spuren auf eine Spur verengt, zeigen, dass Fahrer, die 100 Stundenkilometer fahren, gezwungen werden auf 10 Stundenkilometer abzubremsen. Das ist eine typische Facette des Verkehrs, die ihn komplex macht. In der Wissenschaft sprechen wir über nichtlineare Phänomene.“

Diese Phänomene beschreiben nicht eindeutig vorhersehbare, jedoch zumindest abzuschätzende Situationen, die mit neuen Methoden untersucht werden. Im Fall der Fahrbahnverengung wird so von jetzt auf gleich die Kapazität des Verkehrsnetzes überschritten. „Das ist das Prinzip der Sanduhr.“

Experimente zeigen aber auch, dass Stauungen nicht immer durch verengte Fahrbahnen, oder Baustellen zustande kommen. „Ein Fahrer muss seinen Geschwindigkeitsabstand individuell regulieren, um Kollisionen zu vermeiden und Sicherheitsabstände beibehalten“, erklärt der Wissenschaftler. Experimente dazu zeigen, dass dieses Verhalten Störungen mit sich bringe und die Entstehung von Staus durch Stop-and-Go-Wellen auch ohne Engstellen möglich mache.

Im Fokus seiner Forschungen stehen Untersuchungen zur Ermittlung der Fahrzeuggeschwindigkeit durch automatisiertes Fahren: „So kann die Reaktionszeit reduziert werden und die Leistungsfähigkeiten verbessert werden“, erklärt er. Das geschehe anhand des sogenannten Platoonings, eines in der Entwicklung befindlichen Systems für den Straßenverkehr, bei dem mit Hilfe eines technischen Steuerungssystems mehrere Fahrzeuge in geringem Abstand hintereinanderfahren können, ohne dass die Verkehrssicherheit beeinträchtigt würde. „Wir können damit eine verbesserte, optimalere Nutzung der Verkehrsnetze erreichen.“

Automatisiertes Fahren
könne die Sicherheit erhöhen

Allerdings bedeutet das nicht unbedingt die Reduzierung von Staus. „Das automatisierte Fahren kann aber die Sicherheit der Nutzer erhöhen“, erläutert Tordeux, „denn mehr als 90 Prozent der Unfälle haben menschliches Versagen als Ursache.“ Zudem schone es die Umwelt, sänke die Kosten im Straßenverkehr, ließe führerscheinlose Personen partizipieren und ermögliche andere Tätigkeiten während der Fahrt.

Bei der Optimierung von Verkehrsströmen spielen auch Schadstoffausstöße eine große Rolle. Dabei denkt der Laie sofort an Abgase. Kaum einer weiß, dass allein 40 Prozent der Verunreinigungen von Nichtabgasemissionen ausgehen. „Das ist hauptsächlich die Abnutzung der Reifen und der Bremsbeläge. Sie tragen zur Feinstaubbelastung der Städte bei“, sagt Tordeux. „Die Kontrolle von kollektiven Stop-and-Go Wellen mittels stabilen, automatisierten Abstands- und Geschwindigkeitsregelanlagen  können hier eine Rolle spielen.“

Schwierig sei eine umfassende Schadstoffausstoßermittlung, erklärt er, denn dazu müsse man die Gesamtheit der Emissionen des Verkehrs schätzen, also auch den Lebenszyklus jedes einzelnen Fahrzeugs. Auch das zukunftsweisende Elektroauto habe da so seine Tücken, denn „Elektroautos, selbst wenn sie keine Abgasemissionen produzieren, fangen erst zwischen etwa 80000 und 120000 Nutzungskilometern an, ökologischer als Verbrenner zu sein. Und auch die Produktion der Batterie ist nach wie vor ein sehr umweltschädliches Verfahren.“

Den Verkehr im Bergischen Land hat der Wissenschaftler, dessen Junior-Stiftungsprofessur für die Dauer von sechs Jahren von der Eugen-Otto-Butz-Stiftung aus Hilden gefördert wird, immer vor Augen. „Wir versuchen im Rahmen des Projekts Bergisch Smart Mobility einige Kreuzungen im Bergischen Land, zum Beispiel am Robert-Daum-Platz, durch Optimierung der Ampelsteuerung und Straßeninfrastrukturen zu verbessern“, sagt Tordeux. Wichtig sei vor allem, durch die Entwicklung einer geeigneten und sicheren Infrastruktur die Verkehrsmittelwahl der Verkehrsteilnehmer zu begünstigen.

In Bezug auf ein Auto sagt er: „Denken Sie daran, dass die durchschnittliche Anzahl der Personen pro Fahrzeug nur 1,2 Personen beträgt und dass Parksuchverkehr bis zu 30 Prozent des Verkehrs in Innenstadtbereichen ausmachen kann.“

Die Situation in Wuppertal sei überdies komplexer, da auch das Fahrrad im hügeligen Stadtbereich viele Nutzer einschränke. Multimodale Lösungen, also Möglichkeiten der Verkehrsteilnehmer, für ihre individuellen Mobilitätsbedürfnisse mindestens zwei Verkehrsmittelalternativen zur Verfügung zu haben, zieht Tordeux daher als sinnvolle Möglichkeit in Betracht. Eine gesunde Mischung muss her, um den Verkehr der Zukunft zu leiten und zu lenken. Bis zu Rad-, Elektro- und Öffentlichem Nahverkehr statt mit fossilen Brennstoffen angetriebenen Autos ist es noch ein langer Forschungsweg.

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