Wuppertaler Erinnerungen Wuppertal aus der Sicht der Grande Dame der Lokal-Politik

Ursula Kraus (SPD) beobachtet die Entwicklung ihrer Stadt mit Freude und Hoffnung, aber auch mit Sorgen um den Zusammenhalt und um die wirtschaftliche Lage.

Wuppertaler Erinnerungen: Wuppertal aus der Sicht der Grande Dame der Lokal-Politik
Foto: NN

Ein Blick reicht aus, und Ursula Kraus ist wieder ganz in ihrem Amt. Die Aussicht von ihrem gemütlichen Apartment im Altenheim der DRK Schwesternschaft in Barmen sagt alles, was sie als Oberbürgermeisterin auch immer gesagt hat und noch sagt: „In Wuppertal ist es so schön, hier kann man so schön wohnen. Es gibt nur ganz wenige Städte, in denen das auch so ist.“ Das satte Grün der Bäume hinter dem Altenwohnheim bestätigt sie. „Überall in Wuppertal ist man in höchstens zehn Minuten in einem Wald oder in einem Park“, sagt die Alt-Oberbürgermeisterin. Ihre Stadt begeistert sie immer noch und immer wieder.

Wuppertaler Erinnerungen: Wuppertal aus der Sicht der Grande Dame der Lokal-Politik
Foto: Stefan Fries

„Die Wuppertaler könnten zuversichtlicher sein“, findet Ursula Kraus. Die Stadt habe sich in den vergangenen Jahren sehr gut entwickelt. Wie gut, davon hat sich die Sozialdemokratin vor gar nicht langer Zeit selbst ein Bild gemacht. Der neue Döppersberg ist für sie ein Meilenstein in der Stadtentwicklung. Ihr gefällt er, ihr gefällt auch der bronzefarbene Kubus. „Schöne Architektur“, sagt sie.

Wuppertaler Erinnerungen: Wuppertal aus der Sicht der Grande Dame der Lokal-Politik
Foto: Schinkel, Uwe (schin)

Selbst mit dem Mieter des Hauses, der irischen Textildiscountkette Primark, hat Ursula Kraus sich arrangiert. Nicht, dass sie die Kritik an der Herkunft der Primark-Produkte ablehnte. „Natürlich ist das nicht toll, dass die Textilien aus Niedriglohnländern kommen. Andererseits hätten die Leute dort gar keine Arbeit, wenn es solche Anbieter nicht gäbe. Und Sie glauben doch nicht, dass die teureren Anziehsachen unter besseren Bedingungen hergestellt werden, oder?“ Es müsse darum gehen, die Bedingungen in den Herstellerländern insgesamt zu verbessern.

Dass Boykott dabei hilfreich ist, glaubt die Alt-Oberbürgermeisterin eher nicht. „Wenn es die Sachen in Wuppertal nicht gibt, dann fahren die Kunden nach Düsseldorf und wir verlieren die Kaufkraft.“

Primark trübt das positive Bild nicht, das die ehemalige NRW-Landtagsabgeordnete vom Döppersberg hat. Für sie sind Kubus, Busbahnhof, Bahnhofshalle und die Geschäftsbrücke vielmehr der Schlusspunkt eines Kampfes, den sie als Oberbürgermeisterin in den Jahren von 1984 bis 1996 auch selbst geführt hat. Dass die Stadt trotz aller Fährnisse die Kraft dazu gefunden hat, erfüllt die heute 87 Jahre alte Politikerin mit Freude.

Aber ihr Blick auf Wuppertal ist nicht ungetrübt. Ursula Kraus hatte und hat ein feines Gespür für gesellschaftliche Entwicklungen. Dass in Deutschland Jugendliche zusammengeschlagen werden, weil sie die jüdische Kopfbedeckung Kippa tragen, dass Angst vor Flüchtlingen geschürt und der Umgangston immer rauer wird, ist für die Alt-Oberbürgermeisterin unerträglich. Und „Heimat“ ist darauf keine Antwort. „Da ist die CDU auf einem falschen Weg. Ich bin in Neunkirchen im Saarland geboren. Aber das ist nicht meine Heimat. Die ist Wuppertal“, sagt sie. Wenn jemand zehn Jahre und länger an einem Ort lebe, dann sei das seine Heimat, egal wo die Wiege gestanden habe. „Zu viele wissen heute nicht, was Flucht und Vertreibung bedeuten.“ Ursula Kraus weiß das. Sie hat das Elend des Krieges und die Wirren des Wiederaufbaus erlebt. Sie weiß noch gut, dass selbst Deutsche in Deutschland nicht überall willkommen waren. Umso weniger versteht sie, dass Populisten in Deutschland mit Fremdenfeindlichkeit politischen Erfolg haben können. Für sie ist das inakzeptabel. Und das sagt sie auch. Sie hat es immer getan.

Stadträtin, Landtagsabgeordnete, Oberbürgermeisterin — Ursula Kraus ist die große Dame der Wuppertaler Sozialdemokratie, an deren Spitze freilich nie eine Frau stand. Aber das ist für die gelernte Industriekauffrau auch nicht unbedingt ein Kriterium „Als ich Oberbürgermeisterin war, habe ich Kontakt zu Bürgermeisterinnen in der Umgebung gesucht. Es gab nicht viele, und die es gab, die waren von der CDU — und trotzdem nett.“ In Großstädten haben Frauen in kommunalpolitischen Spitzenämtern wenig Tradition. Zu ihrer Zeit war Ursula Kraus ziemlich allein auf weiter Flur, später machte Petra Roth (CDU) in Frankfurt bundesweit auf sich aufmerksam. Auch heute sind Oberbürgermeisterinnen noch eine Ausnahme. „Dass mit der Gleichberechtigung muss tatsächlich noch ein bisschen besser werden“, sagt sie. „Aber es hat auch keinen Zweck, für solche Ämter krampfhaft nach Frauen zu suchen.“

Die Arbeit des Oberbürgermeisters hat sich in der Zeit nach Ursula Kraus grundlegend geändert. Dabei waren die Sorgen von heute auch die Sorgen von gestern. Städte hatten und haben zu wenig Geld. „Wir haben damals schon versucht zu erreichen, dass der Bund mit den Aufgaben auch das Geld für deren Erledigung mitschickt.“ Der Kampf war vergebens, und weitestgehend ist er das bis heute geblieben.

Ursula Kraus war die letzte ehrenamtliche OB Wuppertals. 1996 trat sie zurück, damit ihr Nachfolger, der SPD-Politiker Hans Kremendahl (1948-2015), noch vom Rat gewählt werden konnte. Heute wird der Chef von Rat und Verwaltung einer Stadt von den Bürgern direkt ins Amt gebracht. „Soweit ich das beurteilen kann, macht Andreas Mucke seine Sache gut“, sagt Ursula Kraus über den aktuellen Oberbürgermeister. Er sei anscheinend sehr beliebt.

Das war sie selbst allerdings auch. Und vergessen ist sie offenbar nicht. „Seit ich kein Auto mehr habe, fahre ich öfter Bus und werde häufig angesprochen“, sagt sie mit einem Lächeln. „Dann bedanken sich Menschen bei mir, denen ich mal geholfen habe. Wobei, daran kann ich mich natürlich nicht mehr erinnern. Aber es freut mich, nicht vergessen zu sein.“

Wenn sie heute Oberbürgermeisterin Wuppertals wäre, dann kümmerte sie sich um die Wirtschaft. „Das habe ich damals schon getan. Ich habe das Gründerzentrum W-tec mitinitiiert“, sagt sie. Das ist, was Wuppertal auch heute noch brauche. Mehr Gründer, mehr junge Menschen, die in Wuppertal Unternehmen aufbauen und Arbeitsplätze schaffen.

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