WM-Erinnerungen: Als Boss Rahn den Bus-Fahrplan umwarf

Toni, der Radio-Fußballgott oder Klinsmann auf Finnisch – wie Wuppertaler vergangene Weltmeisterschaften erlebten.

Wuppertal. "Aus dem Hintergrund müsste Rahn schießen..." Nein, der Fußballfan muss erst noch geboren werden, dem beim Hören von Herbert Zimmermanns euphorisierter Radiostimme aus dem Berner Wunder-Jahr 1954 nicht die Gänsehaut über den Rücken läuft. Ob Helmut Rahns mythenumflorter Distanzschuss, ob Gerd Müller aus der Drehung im Jahr 1974 oder Andi Brehmes unhaltbarer Elfmeter von 1990 - es gibt viele legendäre WM-Momente, die bei Zeitgenossen nostalgisches Kopfkino auslösen. Zahlreiche Wuppertaler sind einem WZ-Aufruf gefolgt und haben erzählt, wie sie die Ruhmestaten oder Ausrutscher vergangener WM-Helden von Fritz Walter bis Lothar Matthäus erlebt haben. Hier sind sie, die Wuppertaler WM-Erinnerungen:

Mein außergewöhnlichstes WM-Erlebnis war bei der WM 1974 das Spiel Deutschland - DDR. Mein Vater feierte seinen 54. Geburtstag und hatte auch ein paar Verwandte eingeladen. Dazu gehörten unter andrem Onkel Fritz aus Bremen und Tante Lisbeth aus der DDR. Während des Spiels kam es seitens meines Onkels zu nicht druckreifen Zornausbrüchen über das schlechte Spiel der Westdeutschen. Auch mein Vater war nahe am Herzinfarkt. Als einziger DDR-Fan hatte Tante Lisbeth natürlich einen schweren Stand - doch nach der Niederlage freute sie sich riesig, während Onkel Fritz mit dem Trainer, mit Beckenbauer, mit dem Hamburger Publikum, dem Rasen und noch zig anderen Gründen für die Niederlage haderte. Aber dann wurde die BRD ja doch noch Weltmeister. Mein Vater feiert in diesem Jahr sogar den 90. Geburtstag - auch wenn ich schon oft dachte, er überlebt die Spiele der deutschen Mannschaft nicht, weil er sich so aufregt.

Uwe Grobecker

Ich hatte mich bei einer Castingagentur in Wuppertal beworben. Zwei Jahre steckte ich in einem Karteikasten - dann bekam ich plötzlich einen Anruf: Ob ich nicht Lust hätte, in Sönke Wortmanns Film "Das Wunder von Bern" Erich Deuser zu spielen, den Masseur der Nationalmannschaft. Es hieß, ich hätte Ähnlichkeit mit ihm. Natürlich wollte ich, da mein Vater die WM am Radio erlebt und uns Kindern davon erzählt hatte. Später hab ich mir den Film im Kino angeschaut. Dort saßen Männer und Frauen, die diese Zeit miterlebt hatten. Bei einigen liefen die Tränen. Ein Mann erzählte, dass er schon 30 Jahre nicht mehr im Kino war. Es war ein tolles Erlebnis, bei diesem Film im Abspann zu stehen.

Rainer Mohr

Sonntag, den 4.Juli 1954. Meine Mutter Erna liegt als Patientin im Klinikum Barmen. Meine Schwester Ursula und ich (damals 11) besuchen unsere Mutter in der Klinik. Gegen 16 Uhr fahre ich allein mit der Straßenbahn nach Hause, um die Radioübertragung des Endspiels zu hören. Gegen 17 Uhr erreiche ich unser Behelfsheim in der Forestastraße 5 und schalte rasch das Gerät ein. Herbert Zimmermann kommentiert, es steht gerade 2:2. Dann schießt Hidegkuti aus drei Metern, Toni Turek hält und Herbert Zimmermann tut den unvergesslichen Ausruf: "Toni, Du bist ein Fußballgott". Dann, gegen Ende des Spiels, macht Helmut Rahn das 3:2. Nach dem Abpfiff renne ich vor lauter Freude aus dem Haus und treffe vor der Tür den Nachbarjungen Peter Hahne, damals 9 Jahre alt. Wir fallen uns in die Arme, vollführen einen Freudentanz. Ein unvergesslicher Tag!

Klaus Ditzel

Am Tag des Endspiels 1954 habe ich meinen Vater im Krankenhaus in Elberfeld besucht. Die Besuchszeit war noch nicht zu Ende, da bedeutete mir mein Vater, ich möge gehen - dann könne er das Endspiel in Ruhe per Kopfhörer verfolgen. Ich eilte also zum Bus. Der hatte kaum Fahrgäste, die Straßen waren wie leergefegt. Unter den Passagieren nur ein Thema: Wie steht es in Bern? Am Gabelpunkt veranlasste der Schaffner einen Stopp, stieg vom Sitz, rannte in eine Kneipe und fragte nach dem Spielstand. Den gab er im Bus per Mikrofon durch. Gleiches wiederholte er am Hardenberger Hof, am Asbruch, an der Lohmühle und beim Reichsadler in Neviges. Fahrplanprobleme gab es keine - da auf der ganzen Strecke zwischen Gabelpunkt und Neviges kein Fahrgast ein- oder ausstieg.

Hermann Grotegut

Die Sommerferien 1990 begannen sehr früh. Grund genug, mit zwei befreundeten Familien einen Finnland-Urlaub zu planen. Seit Herbst 1989 war alles akribisch vorbereitet. Sehr einsame ruhige Gegend: See direkt vor der Tür, kein fließendes Wasser und - kein TV. Zu spät dämmerte mir: Es ist doch WM. Mir blieb einzig das Autoradio, dass mir die wichtigen Spiele auf Finnisch zugänglich machte. "Kohleri", "Völleri" und "Klinsmannsi". Die Hölle! Nach dem Sieg gegen England umrundete ich den alten Opel-Caravan so, als hätte dieser eine Tourenwagen-Meisterschaft gewonnen. Jegliche Ferienplanung wird seit dieser Zeit so abgestimmt, dass wichtige Turniere zu verfolgen sind.

Frank Schubert

In den Sommerferien 1990 fuhr ich mit meiner Familie durch die Beneluxländer. Am Tag des Finales waren wir in den Niederlanden - und mehrfach wünschten uns die Menschen viel Erfolg für das Endspiel, wenn wir in unserem Mercedes mit Wuppertaler Kennzeichen vorbeifuhren oder an Ampeln warteten. Am Abend dann schauten wir das Finale auf unserem Hotelfernseher - auf Niederländisch! Die Glückwünsche der Niederländer nach dem Sieg bei der Weltmeisterschaft 1990 sind mir ebenso in Erinnerung geblieben wie das Spiel - das bisher einzige, das ich mit niederländischem Kommentar gesehen habe.

Saskia Koch

Streichen Sie Haus, Auto oder Wohnzimmer-Einrichtung in den Farben IhrerLieblings-Nationalelf? Haben Sie ein besonders ausgefallenes Fan-Kostüm? Werzurzeit mit offenen Augen durch Wuppertal geht, weiß: Das alles gibt eswirklich.

Die WZ macht sich auf die Suche nach den leidenschaftlichsten und kreativstenFans. Schicken Sie uns Ihr Foto im WM-Dress oder beim WM-Gucken und verraten Sie uns, wie sie die WM verfolgen an [email protected]

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