Geldnot: Im Sog der Schuldenfalle

Claudia Bertram ist eine von 53 500 überschuldeten Wuppertalern. Mahnungen, der Gerichtsvollzieher und eine Mauer des Schweigens bestimmten ihren Alltag – bis sie den Gang ins Insolvenzverfahren wagte.

<strong>Wuppertal. Claudia Bertram (Name von der Redaktion geändert) lebt von Hartz IV. Mit ihrer Tochter (12) wohnt sie in einer 60-Quadratmeter-Dachwohnung, die meisten Möbel sind geschenkt. Urlaub oder teure Kleidung sind nicht drin. Dennoch: "Mir geht es heute gut", sagt die 51-Jährige. Denn sie kann sicher sein, dass ihr der Strom nicht mehr abgestellt wird. Oder plötzlich der Gerichtsvollzieher oder eine Räumungsklage ins Haus stehen. Mehr als 20 Jahre lang war das für sie Alltag. Denn Claudia Bertram ist eine von fast 53 500 Wuppertalern, die überschuldet sind - ein Fünftel der Erwachsenen im Tal. Fast drei Jahrzehnte lang lebte sie mit ihrem Mann Frank, von dem sie sich inzwischen getrennt hat, über ihre Verhältnisse. Teures Auto, Reisen, immer auf Pump finanziert - solange Frank Bertram noch einen gut bezahlten Job als Kaufmann bei einem Industriekonzern hatte, ging das immer einigermaßen gut. Irgendwie zumindest. Doch als Frank vor zwölf Jahren von seiner Firma wegrationalisiert wurde, sackte das ohnehin wacklige Finanzgerüst der Familie nach und nach zusammen. "Ich weiß bis heute nicht, wie das kommen konnte", sagt die zierliche blonde Frau - und schüttelt den Kopf. Ein halbes Jahr nach der Geburt der Jüngsten im Jahr 1995 war ihr Mann arbeitslos. Na und? "Ich find’ eh bald was Neues", sagte er sich und seiner Frau. Aktive Jobsuche hielt er nicht für nötig - hatte er doch von seinem Ex-Arbeitgeber eine ordentliche Abfindung zugesichert bekommen, plus zwölf Monate Gehaltsfortzahlung. Den Lebensstandard einschränken, sparen? Daran dachte Frank Bertram nicht.

Strom weg, kein warmes Wasser - und zum Waschen ins Schwimmbad

Nur ein Mercedes, erinnert sich Claudia Bertram an einen Wahlspruch ihres Mannes, sei ein richtiges Auto. Bis das Autohaus den Wagen abholte, weil die Raten nicht bezahlt wurden. Geldprobleme hätten die Bertrams immer schon begleitet - seit der Heirat Ende der siebziger Jahre. Claudia kann von haarsträubenden Situationen erzählen: "Uns wurde im Spätherbst wochenlang der Strom abgestellt." Mit drei kleinen Kindern musste sie einmal pro Woche ins Schwimmbad fahren, um sich richtig waschen zu können. Mit der Kaffeemaschine habe sie sich an einer Steckdose im Treppenhaus Wasser warm gemacht. "Dabei hat mich mal ein Nachbar gesehen - das war mir so unendlich peinlich." Bis 1995 waren solche Situationen nur kurzfristige Talsohlen - stets kam wieder Geld rein, ließen sich Miet- oder Stromrechnungen wieder begleichen, Raten decken, Kredite ablösen. Doch als Abfindung und Gehalt aufgezehrt waren, ging es nur noch abwärts. Mahnungen stapelten sich auf dem Schreibtisch. "Wir haben unser Auto" - inzwischen ein Kleinwagen, für ein paar hundert Mark von Nachbarn gekauft - "versteckt, als die Behörde die Zulassung aufheben wollte." Immer wieder Pfändungen. Hätte die Schwiegermutter die Familie nicht unterstützt, Claudia Bertram hätte nicht einmal gewusst, wie sie Lebensmittel für sich und die jüngste Tochter kaufen konnte. Die älteren drei Kinder verdienten inzwischen eigenes Geld. Sich jemandem anvertrauen, Hilfe zu suchen, das konnte Bertram trotz zunehmender Verzweiflung nicht. "Ich fühlte mich wie in einer Zwangsjacke." Zumal ihr Mann ihr verbot, arbeiten zu gehen - das ließ sein Stolz als einstiger Ernährer nicht zu: "Ich war mal eine Zeitlang putzen, das hat er mir nicht durchgehen lassen."

12 200 Euro Schulden - ein Vermögen für Hartz-IV-Empfänger

Dass sie all das mitgemacht, jahrelang keine Eigeninitiative ergriffen und den Mut zu einer Kehrtwende gefasst hat, wirft sich Claudia Bertram heute noch vor. Erst im vergangenen Jahr rang sie sich zu einer Trennung durch - und brachte auch ihre Finanzen in Ordnung. Bei der Schuldnerberatung der Verbraucherzentrale machte sie Kassensturz: 12 200 Euro Verbindlichkeiten aus den fast 30 Ehejahren. Für eine Hartz-IV-Empfängerin eine riesige Bürde. "Wie sollte ich die jemals zurückzahlen?" Claudia Bertram wählte die Verbraucherinsolvenz - mit der Perspektive, in sechs Jahren schuldenfrei neu anfangen zu können. Heute genießt sie es schon, ohne die Schuldenlast auf den Schultern an einem Schaufenster vorbeizugehen - und nichts zu kaufen. Schulden, sagt sie, sind wie ein Sog. "Wenn Du einmal hineingerätst, kommst Du nicht mehr raus." Doch den ersten Schritt hat sie jetzt getan. Raus aus der Schuldenfalle.

Verbraucherinsolvenz

Verfahren Das Verbraucherinsolvenzverfahren steht allen natürlichen Personen (Privatpersonen, Selbstständige, Kleingewerbetreibende) bei Zahlungsunfähigkeit offen, wenn sie weniger als 20 Gläubiger haben sowie keine Schulden, die aus Arbeitsverhältnissen resultieren. Eine außergerichtliche Einigung mit den Gläubigern muss zuvor gescheitert sein. Ziel ist in der Regel die Restschuldbefreiung.

Restschuldbefreiung Der Schuldner muss über sechs Jahre den pfändbaren Teil seines Einkommens an einen Treuhänder abtreten, der die Gläubiger bedient. Nach Ablauf dieser Zeit erlöschen die verbleibenden Schulden.

Pfändungsfreigrenze Der pfändungsfreie Grundbetrag für eine Person liegt bei 985,15 Euro im Monat. Er erhöht sich entsprechend der Anzahl der Personen, für die der Schuldner unterhaltspflichtig ist. Bei Claudia Bertram und ihrer Tochter sind es 1359,99 Euro im Monat.

In Wuppertal Im ersten Halbjahr 2007 wurden hier 256 Verbraucherinsolvenzen angemeldet. Zum Vergleich: Im gesamten Jahr 2005 waren es 446 - der bisherige Höchststand in Wuppertal.

Hilfe Das Verfahren kann man bei einem Rechtsanwalt beantragen oder über eine der drei Wuppertaler Schuldnerberatungen: Verbraucherzentrale (Tel. 447732), Diakonie (Tel. 97444521) und Awo (Tel. 245770).

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