60 Jahre BRD: 1949 gab es den millionsten Kobold-Sauger

Das Vorwerk-Erfolgsrezept ist der Direktvertrieb. 560.000 Menschen verdienen beim heimlichen Riesen Geld.

Wuppertal. Begriffe wie Direktmarketing und Globalisierung waren noch längst nicht en vogue, da hatte die Familie Mittelsten Scheid in Wuppertal bereits die Konzepte parat.

Jörg Mittelsten Scheid, heutiger Vorsitzender des Beirats der Vorwerk & Co. KG und fast vier Dekaden an der Spitze des heimlichen Riesen, erinnert sich an einen Spaziergang im Schnee. Damals trug sein Vater Erich nach einem US-Aufenthalt dem Großvater und damaligen Firmenchef Werner die Idee des Direktvertriebs vor. Und der stimmte zu - mit den Worten "Versuchen wir es."

Jörg Mittelsten Scheid nennt das heute "eine große geistige Leistung" - und das weitere konsequente Festhalten am Direktvertrieb nach dem Krieg eine der drei wichtigsten Entscheidungen in der Geschichte des 1883 von Carl und Adolf Vorwerk als Teppichfabrik gegründeten Unternehmens. Schon 1949 wurde so der millionste Kobold-Staubsauger verkauft.

Der Kobold und der Vorwerk-Vertreter, eines von zahlreichen Bildern der Wirtschaftswunder-Jahre. Vorwerk baut das Haushaltsprogramm aus, der Kobold lässt sich auch zur Trockenhaube umfunktionieren, Konrad Adenauer tritt im Wahlkampf mit einem Kobold auf. Und Vorwerk legt den Grundstein, um später die schwierigen Jahre zu überstehen, als die Textil-Branche zusammenbricht und die Wuppertaler Tragödie ihren Lauf nimmt. Eine Reaktion bei Vorwerk: Die Umstellung beim Kobold von 24 auf sechs Geräte, mit dem Ergebnis, dass die Kosten sinken und der Umsatz steigt.

Die beiden anderen Entscheidungen ähnlicher Tragweite: Ab den 1960er Jahren die zunehmende Internationalisierung des Familienunternehmens gestalten und schließlich 2004 der Kauf von Jaffra Cosmetics und damit der Einstieg in das rasant wachsende Niedrig-Preis-Segment. Vor allem wegen Jaffra verdienen mittlerweile rund 560.000 Menschen ihr Geld bei Vorwerk.

Jörg Mittelsten Scheid, den bei Vorwerk alle "Dr. Jörg" nennen, erklärt solche Zusammenhänge immer gern erst mit hoher Fachkompetenz - und bringt es dann noch einmal mit einfachen Worten auf den Punkt. Legendär der Satz zum Kobold-Geschäft in Asien: "In China gibt es unheimlich viel Staub". Die Chancen des verstärkten Direktvertriebs von Jaffra nicht nur im "Macho-Land Mexiko," sondern auch in den USA, untermauert er mit dem Satz "Die Staaten sind riesig."

Und über allem schwebt seit jeher der Familiengedanke. Einerseits, weil 19 Familienmitglieder als Gesellschafter beteiligt sind. Anlass für Jörg Mittelsten Scheid, über den Beirat alles zu tun, "damit der Familienfriede erhalten bleibt". Dieses achtköpfige Gremium besteht aus vier Familienmitgliedern und vier Externen. Und diese Externen müssen einstimmig votieren - zum Beispiel wenn Vertreter der Familie Führungsaufgaben übernehmen möchten. In der Gesellschafterversammlung soll es dann keine Diskussionen mehr geben. "Das ist alles Psychologie" erklärt Mittelsten Scheid. Es gilt, Streit innerhalb der Familie zu vermeiden.

Familie - das ist aber auch der Ort, an dem die Vorwerk-Produkte landen. Staubsauger, Bügelsysteme, Thermomix, in Asien Alva zur Wasseraufbereitung und natürlich Kosmetik. Längst hat die Unternehmerfamilie es dabei geschafft, das während des Wirtschaftswunders erlernte deutsche Denken abzulegen, sich nicht einfach nur als Exporteur deutscher Produkte für den internationalen Markt zu verstehen. Mittelsten Scheid spricht dabei von einem "schwierigen Prozess".

60 Jahre Bundesrepublik? Der Weltbürger und ehemalige Präsident von Eurochambres, der europäischen Kammervereinigung, erinnert sich an die einzelnen Marksteine. An das Gefühl nach Kriegsende, "endlich raus zu dürfen", daran, dass ihm in England einmal eine Zahnbehandlung verweigert wurde, an ein Treffen mit Bob Kennedy, dessen scharfe Logik Mittelsten Scheid stark beeindruckte - und an die Unsicherheiten, als Europa seine Eitelkeiten pflegte.

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