Wuppertal „Wir stehen nach dem Brexit nicht auf der Gewinnerseite“

Volkswirt Paul Welfens erzählt im Interview, warum Partnerschaften zwischen Städten in Zeiten des Brexit wichtig sind.

 Vom Brexit werden zum Beispiel die Autozuliefer-Industrie und der Maschinenbau besonders betroffen sein, vermutet Prof. Paul Welfens.

Vom Brexit werden zum Beispiel die Autozuliefer-Industrie und der Maschinenbau besonders betroffen sein, vermutet Prof. Paul Welfens.

Foto: dpa/Alastair Grant

Herr Prof. Welfens, der Brexit droht. Wie groß ist die Gefahr für die bergische Wirtschaft - auf einer Skala von 1 bis 10?

Prof. Paul Welfens: Ich bewerte das mit einer 5. Denn es gibt Branchen in der Region, die besonders betroffen sein werden. Dazu gehört die Autozuliefer-Industrie und der Maschinenbau, die mit Umsatzverlusten von fünf bis zu zehn Prozent rechnen müssen. In diesen Branchen gibt es im Bergischen Land überdurchschnittlich viele Firmen. Deshalb sehe ich uns nach dem Brexit nicht auf der Gewinnerseite. Es gibt aber auch Chancen.

Welche Chancen meinen Sie?

Welfens: Es gibt in Großbritannien 500 000 EU-Ausländer, die grundsätzlich interessiert sind, in die EU zurückzukehren. Solingen, Remscheid und Wuppertal könnten sich um diese Fachkräfte bemühen und so dem eigenen Fachkräftemangel entgegenwirken.

Wie soll das gelingen?

Welfens: Wir müssten - wahrscheinlich auf dem digitalen Weg - diesen Menschen die Vorzüge unserer Region deutlich machen. Denn die Lebensqualität im Bergischen Land ist beachtlich. Außerdem haben wir qualifizierte Jobs zu bieten.

Was können die Städte darüber hinaus tun, um diese Fachkräfte anzuwerben?

Welfens: Sie könnten Städtepartnerschaften mit Kommunen in Großbritannien anstoßen. So könnte der Austausch verstärkt werden. Wir brauchen einfach ein paar intelligente Ideen, um solche Verbindungen herzustellen.

Werden die Auswirkungen des Brexit unterschätzt?

Welfens: Teilweise ja. Denn sollte Großbritannien nach einem Brexit in die wirtschaftliche Rezession rutschen, wird das auch unsere Nachbarn Belgien und Niederlande betreffen, die wirtschaftlich sehr stark mit Großbritannien verbunden sind.

Mit welchen Folgen?

Welfens: Wenn Großbritannien in die Rezession rutscht, werden Belgien und die Niederlande ein Quartal später folgen. Die Auswirkungen für unsere Region sind dann wesentlich stärker. Denn das deutsche Handelsvolumen mit diesen beiden Ländern ist zusammen größer als das Handelsvolumen mit Großbritannien.

Welche Auswirkungen hat ein drohender Brexit auf die Europawahl?

Welfens: Das hängt davon ab, wie viel Verlängerung die Briten von der EU bekommen. Ich bin sehr für eine kurze Verlängerung bis Ende Juni. Sollte die Verlängerung aber zwei Jahre betragen, dann sind wir wieder in einer Phase der Unsicherheit. Und niemand weiß, ob am Ende nicht wieder das gleiche Chaos herrscht.

Der Brexit fühlt sich aber für die meisten Menschen im Bergischen Land sehr weit weg an, oder?

Welfens: Das mag sein, aber das täuscht. Meine Frau und ich hatten beispielsweise erst kürzlich einen Brief unserer Versicherung im Briefkasten, die ihren Sitz in Großbritannien hat. Sie informierten uns darüber, dass der Firmensitz nun nach Frankreich verlegte werde. Das habe aber keine negativen Folgen für die Versicherten. Das stimmt nicht. Denn oftmals gelten in diesen Fällen für die Versicherten schlechtere Kündigungsbedingungen. Das betrifft selbst bei uns in der Region Tausende. Plötzlich ist dann der Brexit ganz nah.

Die entscheidende Frage zum Schluss: Kommt der Brexit?

Welfens: Großbritannien wird kaum bis 12. April, der Verlängerungsfrist für eine neue Parlamentsabstimmung, eine Parlamentsmehrheit für den Austrittsvertrag haben. Daher ist alles offen, inklusive Absage des Brexit oder auch der Möglichkeit eines harten Brexit – ohne Vertrag. Mit anschließend großer Finanzmarktunruhe bei den Großbanken in London, was deutsche Großunternehmen deutlich negativ treffen wird. Die haben den größten Teil der Finanzierungen und Risikoabsicherungen in Großbritannien laufen, was dann im Weiteren negativ auf die Zulieferbetriebe in allen Regionen Deutschlands durchschlägt. Das Risikomanagement der Bundesregierung lässt zu wünschen.

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