„Wir hatten Tränen in den Augen“

Wie der Absturz der Schwebebahn Wuppertal veränderte.

Wuppertal. Den "Feiertag" hat wohl kaum jemand in Erinnerung. Es war der 8. Juni 1999. Um 13.15 Uhr fuhr sie wieder: die Schwebebahn. Und die Wuppertaler standen an den Bahnsteigen: "Mit feuchten Augen" wie sich eine Augenzeugin erinnert. Und dann klatschten die Wartenden Beifall. Trotzig, stolz und glücklich.

Eine verständliche Reaktion. Am 12. April 1999 war Wuppertals Mythos jäh abgestürzt. Fünf Tote und 47 teilweise schwer verletzte Passagiere. Die Nachricht ging um die Welt. Jede Zeitung druckte das Foto. Dieses schreckliche Bild des Waggons in der Wupper.

Wie betäubt war die Stadt. Mit Tränen in den Augen pilgerte Wuppertal zur Unfallstelle zwischen der Brücke an der Moritzstraße und den Station Robert-Daum-Platz. Ein Absturz der Schwebebahn? Unmöglich.

Schon am Tag nach dem Unfall war klar, was passiert war. Weithin sichtbar prangte eine Montagekralle aus Stahl am Fahrprofil. Offensichtlich hatten Arbeiter in der Nacht zuvor vergessen, dieses 100 Kilo schwere Teil abzumontieren. An ihm kam die Schwebebahn nicht vorbei.

Details über die damals laufenden Sanierungsarbeiten am Schwebebahn-Gerüst wurden öffentlich. Zur Erinnerung: Damals gab es wegen der millionenschweren Sanierung des Schwebebahn-Gerüsts regelmäßig sogenannte Umbau-Wochenenden.

Statt der Schwebebahn fuhren von Freitagnacht bis zum frühen Montagmorgen Busse. Der Termindruck war enorm. Im Laufschritt sollen Monteure, Bauleiter und WSW-Kontrolleure in jenen Nächten auf dem Gerüst unterwegs gewesen sein, um ja die vorgegeben Termine einzuhalten und keine teuren Vertragsstrafen zu kassieren.

So war es wohl auch in der Nacht vor dem Unglück: Stress, Hektik, Zeitdruck und menschliches Versagen wurden für die ahnungslosen ersten 52Schwebebahn-Passagiere am Montagmorgen des 12. April 1999 zum Verhängnis.

Im Februar 2000 hatte die Staatsanwaltschaft ihre Beschuldigten-Liste komplett. Vier am Umbau beteiligte Arbeiter, Kontrolleure der Stahlbaufirma Lavis und der Stadtwerke, sowie der damalige Betriebsleiter der Schwebebahn mussten auf der Anklagebank Platz nehmen. Am 23. August 2000 der Strafprozess: 200Zuschauer und 40Journalisten wollten erleben, wie das Gericht über die acht Angeklagten befinden würde. 17Verhandlungstage später, am 29. September 2000, die Urteile: fünf Freisprüche - unter anderem für den WSW-Betriebsleiter - drei Verurteilungen zu Geld- und Bewährungsstrafen.

Erst nach dem Richterspruch schienen die Stadtwerke die Aufarbeitung des Unglücks in den Griff zu bekommen. Der ehemalige Vizepräsident des Landessozialgerichts Wilhelm Berstermann brachte für die WSW als Ombudsmann die Schmerzensgeld- und Wiedergutmachungszahlungen auf den Weg. Bis heute haben die WSW mehr als drei Millionen Euro an die Opfer gezahlt, davon rund eine Million als Schmerzensgeld. Ruhe kehrte in den Folgejahren trotzdem nicht ein.

Vor dem Landgericht stritten sich die Stadtwerke mit der Stahlbau-firma Lavis allerdings nicht mehr um Menschenleben, sondern um mehr als 4,5 Millionen Euro Schadenersatz. Unter anderem wollten die WSW, dass Lavis sich mit 1,5 Millionen Euro am Schmerzensgeld für die Opfer beteiligt. Auch für den Unglückszug - geschätzter Wert: eine Million Euro - sollte Lavis gerade stehen. Am Ende einigte man sich vor dem Landgericht auf einen Vergleich. Dem Vernehmen nach soll die damalig eingeklagte Summe in etwa halbiert worden sein.

Daran war der Rest der Welt dann schon nicht mehr interessiert und die Stadt längst zur Tagesordnung übergegangen. Und natürlich wird die Schwebebahn seit jener Wiederinbetriebnahme am 8.Juni 1999 wieder täglich von zehntausenden Passagieren benutzt. Angst vor einem neuen Unglück? Nein.

Und dabei haben viele Benutzer wahrscheinlich längst vergessen, dass die Stadtwerke nach dem Unglück ihre Konsequenzen gezogen haben. Vor dem regulären Betrieb schicken die Stadtwerke an den Endhaltestellen in Vohwinkel und Oberbarmen einen Testzug auf die Strecke. Ohne Passagiere. Jeden Morgen.

Meistgelesen
Neueste Artikel
Zum Thema
Aus dem Ressort