„Wir arbeiten an den Grundlagen“

Die Hasenschule hilft Kindern und Jugendlichen beim Lesenlernen. Die Lehrer greifen dazu auf unterschiedliche Lehrmethoden zurück.

„Wir arbeiten an den Grundlagen“
Foto: Andreas Fischer

Mohamed Amine setzt sich an den ersten Tisch und liest seinen Satz. „Es ist das h, welches das a, e, i, o, u dehnt.“ Dann springt der Neunjährige auf und geht an den nächsten Tisch, um den Satz erneut zu lesen. Dann an Tisch 3 und danach darf er diesen Satz einer der Ehrenamtlerinnen vorlesen, die am Rande des Schulraums sitzen. Die Hasenschule an der Friedrich-Ebert-Straße in Elberfeld richtet sich an Kinder, die mit dem Lesen Schwierigkeiten haben. Ganz gezielt üben sie in kleinen Schritten so lange, bis sie flüssig fremde Texte entziffern können.

Wuppertaler

Schulzeit

Giovanni (8) übt noch mit den Fingerzeichen: Jedem Buchstaben ist eine Bewegung zugeordnet. So wird beim „e“ ein lachender Mund ins Gesicht gezogen, beim „s“ ein Kringel in die Luft gemalt, beim „n“ die Nase berührt. „Viele Kinder haben Schwierigkeiten, die Laute zusammenzuziehen“, erklärt Lehrerin Lilia Stadler. Die standardisierten Bewegungen helfen den Kindern.

Deshalb entwickelte Katrin Rabanus vor mehr als 30 Jahren die nach ihr benannte Lehrmethode. Damals arbeitete die Wuppertalerin als Sonderschullehrerin: „Da habe ich gesehen, dass viele Kinder nicht lesen konnten“, erzählt sie. Bei manchen waren die mangelnden Lesekenntnisse der Hauptgrund, warum sie an eine Förderschule verwiesen wurden. Deshalb begann Katrin Rabanus, für die ersten Kinder ihre Lehrmethode zu entwickeln. Aufgrund des großen Erfolgs kamen immer mehr Schüler zu ihr. Heute gibt es in NRW und Berlin sechs Hasenschulen sowie weitere drei in Lateinamerika.

Die meisten Kinder kommen im Grundschulalter zur Hasenschule. Vereinzelt sind jedoch auch Vorschüler oder Jugendliche bis etwa 15 Jahren dabei, manche auch mit Lernstörungen. Sie alle werden gemeinsam in Gruppen unterrichtet — denn hier lernt jeder in seinem eigenen Tempo. Den Beginn macht ein ausführliches Aufnahmegespräch mit Diagnostik. „Dann versuchen wir, herauszufinden, wie wir das Kind am besten fördern“, erklärt Lilia Stadler. Es gibt getrennte Kurse für Lesen, Schreiben und Rechnen. Die Kinder sollen jeweils dreimal pro Woche für eine Stunde in die Hasenschule kommen. „Wir wollen, dass die Kinder in einer kurzen Zeit schnelle Erfolge erzielen“, sagt die Lehrerin. Nach sechs Monaten in der Hasenschule könnten die meisten Kinder flüssig lesen. „Und die Kinder kommen gerne zu uns. Wir erleben oft, wie die Kinder aufblühen, wie sie mehr Selbstbewusstsein entwickeln.“

Damit das so bleibt, erhalten sie viel positive Rückmeldungen: Wer seinen Satz gut der Lehrerin vorgelesen hat, bekommt einen Klebepunkt auf die Hand. Bei fünf Punkten am Ende der Stunde darf sich der Schüler eine Kleinigkeit — etwa einen Sticker oder ein Päckchen Gummibärchen — aussuchen. Für besondere Leistungen vergibt die Lehrerin einen dicken goldenen Punkt. Am Anfang lesen die Kinder nur sinnlose Lautverbindungen, um das System zu lernen. Später folgen immer kompliziertere Sätze. Ein dicker Aufgabenblock begleitet sie dabei.

Wenn die Schüler das Lesen beherrschen, können sie in der Schreibstube oder im Rechenzimmer nebenan weitermachen. „In Mathe gehen wir oft zwei Schuljahre zurück“, erläutert Lilia Stadler. „Wir arbeiten nicht an Schulstoff — wir arbeiten an den Grundlagen. Das muss man aushalten.“ Ein steter Wechsel an Unterrichtsmaterialien sorgt dafür, dass die Kinder nicht abschalten. Mal arbeiten sie mit „begreifbarem“ Montessori-Material, mal am Computer, mal mit Lernkarten. Und auch hier werden kleinteilig Lernfortschritte abgefragt.

Die von viel Bewegung durchsetzten Unterrichtsstunden mit ihrem festen Ablauf helfen den Kindern dabei, sich zu konzentrieren. Während Giovanni voller Elan seine Buchstaben in die Luft kringelt und dazu den von der Lehrerin bunt markierten Satz liest, malt Felina sorgsam eine Zeile „L“ in ihren Block. Ihre Nachbarin zieht derweil einen großen Buchstaben mit Buntstiften nach. Die Mütter und Großmütter am Rand kontrollieren alle Aufgaben und ermuntern zum nächsten Schritt. Manche kommen auch noch in die Hasenschule, wenn ihre eigenen Kinder und Enkel längst hinausgewachsen sind. Denn sie alle merken, wie wichtig diese Arbeit ist.

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