Aktfotos Wie Wuppertaler Senioren mit Nacktfotos begeistern

Wuppertal · Weil sie eine Ausstellung mit Aktfotos von Senioren zeigt, erlebt eine Kirchengemeinde in Wuppertal einen regelrechten Ansturm. Eine 99-Jährige erklärt bei der Eröffnung, was das Projekt so besonders macht.

Ruth F. (l.) ist die älteste Teilnehmerin der Ausstellung in Wuppertal.

Ruth F. (l.) ist die älteste Teilnehmerin der Ausstellung in Wuppertal.

Foto: Andreas Fischer

Am Dienstag wird Ruth F. 100 Jahre alt. Seit Freitagabend kann man im Gemeindezentrum Röttgen der Evangelischen Kirchengemeinde Uellendahl-Ostersbaum in Wuppertal ein Schwarz-Weiß-Foto von ihr sehen. Nicht von irgendwann, sondern von diesem Sommer. Und nicht irgendwie, sondern als Aktaufnahme. In der linken Hand hält sie eine Postkarte ihrer Urenkel, in der rechten ein Telefon als Symbol für den dankbaren Rückruf. Auf der Haut trägt sie nichts. „Wir sind prüde aufgewachsen, aber wir haben uns modernisiert“, sagt sie trocken.

Ruth F. ist die älteste Teilnehmerin des Projekts „Wunderbar gemacht“. Die Jüngste ist 70. Insgesamt 16 Männer und Frauen des offenen Seniorentreffs der Gemeinde haben sich von der Wuppertaler Fotografin Andrea Rompa in Szene setzen und ablichten lassen. Seit den ersten Vorberichten hat die Idee eine enorme, auch überörtliche Resonanz erfahren: Das Fernsehen und die „Zeit“-Beilage „Christ und Welt“ haben berichtet, Anfragen kommen sogar aus der Schweiz – und als am Freitag die Ausstellung mit den 18 Fotos endlich eröffnet wird, reichen die Sitzplätze in der Kirche des Gemeindezentrums bei Weitem nicht aus.

Eine 99-Jährige erklärt, warum sie bei dem Projekt in Wuppertal mitgemacht hat

Warum Ruth F. bereit war, teilzunehmen? „Weil Frau Horn so sympathisch ist. Wir lieben sie über alles. Und wegen des Gemeinschaftsgeistes.“ Annette Horn leitet den Seniorentreff schon seit Jahren. Das „Wir“ innerhalb der Gruppe sei stärker geworden, sagt sie bei ihrer Eröffnungsansprache. „Alle haben mitgemacht, obwohl sich nicht alle haben fotografieren lassen.“ Keine Aktion in all den Jahren habe sie so berührt wie diese.

Pfarrer liefert viele theologische Begründungen

Pfarrer Holger Pyka hat in den vergangenen Wochen und Monaten schon viele theologische Begründungen dafür gefunden, warum ausgerechnet eine Kirchengemeinde Raum bietet für Aktaufnahmen von Senioren. Am Abend der Eröffnung nennt er noch diese: „Wir suchen und finden Schönheit dort, wo niemand sie vermutet. So wie wir auf dem Friedhof inmitten von Trauer und Tod von Auferstehung und Leben sprechen.“ Am Ende der Einführung ziehen die von einem langen Leben geformten und gezeichneten Models unter dem bewegten Applaus der Gäste aus der Kirche aus und dürfen im Foyer als Erste die Aufnahmen betrachten, die sie in dieser Größe auch noch nicht kennen.

Christa Scholz beispielsweise hat sich im Liegen fotografieren lassen. Ihre Brüste werden von einem Stoffhund verdeckt, den ihr einst ihre Tochter genäht und geschenkt hat. Ihren drei Kindern, die an dem Abend nicht teilnehmen können, wird die 76-Jährige eine Aufnahme von der Eröffnung gleich noch per Whatsapp schicken. Eine erste Reaktion hat es aber schon im Vorfeld gegeben: „Mama, du bist ja ein richtiges Fotomodell.“

Die Art der Präsentation variiert

Die Art, sich zu präsentieren, variiert stark: Ein Ehepaar lässt sich Hand in Hand von hinten fotografieren, das andere guckt lachend in die Kamera. Eine Frau erscheint mit mondänem Hut, Perlenkette und BH auf beeindruckende Weise elegant, eine andere hockt lässig mit üppiger Kette auf ihrem Rollator. Dann wieder liegt eine Seniorin im Halbdunkel wie dahingegossen und selbstversunken auf der Seite.

Auch Herbert Blumberg (84) ist dabei. Über Pyka sagt er: „Das ist ein junger Pfarrer in einer alten Gemeinde.“ Und so einen müsse man in seinen Ideen unterstützen. Eigentlich ist Blumberg von Hause aus Physiker. „Aber ich konnte mich ja schlecht mit einem Teilchenbeschleuniger fotografieren lassen.“ Also hat er auf seine private Passion zurückgegriffen: Blumberg sitzt hinter einem kleinen Bistrotisch, umgeben von Bücherstapeln auf dem Fußboden, und blättert, während er in Richtung Kamera blickt. Mit dem Projekt einen Gegenpol zum gesellschaftlichen Schönheits- und Jugendhype zu bilden, das hält er für richtig und wichtig.

Nicht alle Teilnehmer wollen sich dem Trubel am Eröffnungsabend aussetzen. Manche sind zu Hause geblieben. Aber keiner von ihnen hat sich und sein Foto im Laufe der vergangenen Wochen zurückgezogen, weil ihm die ganze Sache doch noch zu heikel wurde. Belohnt werden „diese wunderbaren, mutigen, großartigen, humorvollen, neugierigen und wunderschönen Menschen“ (Holger Pyka) nicht nur bei der Vernissage mit ungeteilter Bewunderung. Dass sie durch ihre Beteiligung nicht nur den Betrachtern, sondern auch sich selbst neue Perspektiven eröffnen, das hat Gruppenleiterin Annette Horn schon ganz am Anfang begriffen. „Die Skepsis im Seniorentreff war schnell vorbei – und ist einer regelrechten Abenteuerlust gewichen.“

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