Wie emigrierte Wuppertaler ihren Platz in der Welt fanden

Im Dritten Reich verließen viele Talente die Stadt. Sie wurden Musiker, Künstler und in einem Fall Sekretärin von Thomas Mann.

 Hilde Goldschmidt (r.u.) schrieb für Mann „Doktor Faustus“ auf.

Hilde Goldschmidt (r.u.) schrieb für Mann „Doktor Faustus“ auf.

Foto: dpa/Stadtarchiv Wuppertal/Jakob Goldschmidt

Wuppertal. Else Lasker-Schüler und Jankel Adler. Die Dichterin und der Maler stehen wohl an erster Stelle, wenn Wuppertaler über ehemalige Bewohner ihrer Stadt nachdenken, die vor den Nazis flüchten mussten. Doch es gibt noch viele weitere Geschichten von Juden, die nach ihrer Zeit in Wuppertal woanders ihren Platz fanden, berühmt wurden. Ulrike Schrader, Leiterin der Begegnungsstätte „Alte Synagoge“ half der WZ dabei, einige der beeindruckenden Wege nachzuzeichnen.

Geiger Walter Levin gründete das Lasalle-Streichquartett.

Geiger Walter Levin gründete das Lasalle-Streichquartett.

Foto: dpa/Stadtarchiv Wuppertal/Jakob Goldschmidt

Eine Frau im Käfig, eine Frau ohne Mund, eine Frau, die verzweifelt versucht, aus einem riesigen Waschzuber zu klettern — Grete Stern hat mit ihrer psychoanalytisch inspirierten Fotomontage-Serie „Träume“ 1950 ihr Können als Avantgarde-Künstlerin unter Beweis gestellt. Heute gilt die gebürtige Elberfelderin als eine Pionierin im Bereich der Porträt- und Reklamefotografie. Nachdem die Nationalsozialisten an die Macht gelangten, emigrierte Stern 1933 nach London, wo sie als Fotografin unter anderem Bertolt Brecht porträtierte. 1936 wanderte sie nach Argentinien aus, wo sie sich in Buenos Aires einer Gruppe progressiver Künstler anschloss. „Noch in den 80er Jahren gab es eine Ausstellung von Grete Stern in Wuppertal“, berichtet Ulrike Schrader.

Fotografin Grete Stern wirkte in Buenos Aires.

Fotografin Grete Stern wirkte in Buenos Aires.

Foto: dpa/Stadtarchiv Wuppertal/Jakob Goldschmidt

Hilde Goldschmidt, später Reach, stand in ihrem Leben weniger im Rampenlicht, wurde jedoch in den USA hinter den Kulissen als Sekretärin die rechte Hand von Thomas Mann. Sie leistete etwa die Abschrift des Romans „Doktor Faustus“. Die 1917 geborene Deutsch-Jüdin verbrachte ihre Kinder- und Jugendzeit in Elberfeld und wäre gerne Juristin geworden, doch ihr Vater wollte, dass sie Schreibmaschine-Schreiben lernt. 1937 flüchtete sie mit ihrem damaligen Mann zunächst nach New York. Über den befreundeten Musikologen Ernst Gottlieb gelangte Hilde Reach 1943 an Thomas Mann, der zu der Zeit eine Sekretärin suchte. Von da an regelte die Elberfelderin die Korrespondenzen des Schriftstellers im kalifornischen Exil und war soweit in den Tagesablauf der Manns eingebunden, dass später auch das Fernsehen Interesse an ihr zeigte. „Sie trat in einer großen TV-Dokumentation über die Manns auf“, weiß Schrader.

Historiker Helmut Hirsch (hier mit Johannes Rau) verfasste Werke über Engels.

Historiker Helmut Hirsch (hier mit Johannes Rau) verfasste Werke über Engels.

Foto: dpa/Stadtarchiv Wuppertal/Jakob Goldschmidt

Der 1907 in Barmen geborene Historiker Helmut Hirsch flüchtete 1937 nach Frankreich und rettete sich 1941 in die Vereinigten Staaten. Dort wurde er 1945 Mitbegründer des Roosevelt College in Chicago — ein besonders liberaler Lernort. „Dort gab es keine Rassentrennung, was für damalige Verhältnisse sehr ungewöhnlich war“, erklärt Ulrike Schrader. Auf Empfehlung von Johannes Rau konnte Hirsch ab 1958 Lehraufträge an der Düsseldorfer Verwaltungs- und Wirtschaftsakademie annehmen. Er veröffentlichte vor allem Werke zur deutschen Sozialgeschichte, auch über Friedrich Engels.

Karriere als deutscher KPD- und SED-Politiker machte Albert Norden. Er war das vierte von fünf Kindern des Elberfelder Rabbiners Dr. Josef Norden, der 1943 in Theresienstadt ermordet wurde. 1933 flüchtete Norden nach der Machtübernahme der Nazis in die Tschechoslowakei, später nach Frankreich und in die USA. Nach dem Krieg war Norden von 1949 an drei Jahre Leiter der Presseabteilung im Informationsamt der DDR. Von 1958 bis 1981 war er Mitglied des Politbüros des Zentralkomitees der SED (zuständig für Agitation) und Abgeordneter der Volkskammer, ab 1976 auch Mitglied im Staatsrat der DDR. Schrader erzählt: „Man sagte ihm nach, er sei der Einzige gewesen, der im Politbüro etwas im Kopf hatte.“

Erst am 4. August dieses Jahres starb Walter Levin. Der weltberühmte Geiger hatte als Enkelsohn des Komponisten Hermann Zivi seine Wurzeln ebenfalls in Wuppertal. 1938 floh er erst nach Berlin, dann nach Palästina. Doch den Gründer und ersten Geiger des Lasalle-Streichquartetts hielt es nicht in der dortigen Emigration, weil er unter günstigeren Verhältnissen in Amerika studieren wollte.

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