Arne Ulbrichts Lehrer-Tagebuch Das Scheitern gehört dazu

Wuppertal · Lehrer Arne Ulbricht über Momente, in denen Hilfe willkommen ist.

 Arne Ulbricht.

Arne Ulbricht.

Foto: Michael H. Ebner

Szenen aus dem stinknormalen Lehreralltag: „Ihr Attest!“, sage ich zum 18-jährigen Deniz. Der lacht nur und zeigt mir statt eines Attests die zwei Hälften seiner offensichtlich säuberlich durchgeschnittenen Krankenversicherungskarte. „Habe ich nicht, ich konnte nicht zum Arzt gehen. Tja, da müssen Sie mich wohl ohne Attest nachschreiben lasen!“

Oder: Laura (13) kommt nach der Pause zehn Minuten zu spät in meinen Unterricht, ohne sich zu entschuldigen. „Laura? Du bist…“ „Hä, ich war auf Klo. Darf ich jetzt nicht mal mehr das, oder was?“

Oder: Matthias (19), den ich drei Jahre lang unterrichtet und mit dem ich mich gut verstanden habe, möchte mich am Ende der allerletzten Stunde noch einmal sprechen. Ich erwarte etwas Nettes, so eine Art verbales Schulterklopfen. Stattdessen: „Ich war jetzt drei Jahre Ihr Schüler, und nie habe ich eine Eins bekommen.“ Matthias schüttelt wütend den Kopf, macht auf dem Absatz kehrt und verlässt den Klassenraum.

Oder: „Heute lese ich euch mal etwas vor!“, sage ich mit feierlichem Tonfall. Meine Fünftklässler schauen mich an, als hätte ich einen unangekündigten Test aus meiner Tasche geholt. Kaum beginne ich, grölen Tim und Tom ständig dazwischen. Ich werfe sie raus. Daraufhin rufen Lisa und Aylin: „Dürfen wir auch raus, solange Sie lesen?“

Oder: „So… hört mir einfach noch mal alle zu.“ Niemand hört mir zu. Nicht in diesem Kurs. Sobald ich nach links gucke, wird rechts geredet; gucke ich nach rechts, wird links gequatscht. Versuche ich alle anzuschauen, wird gegrinst, getuschelt, gekichert, auf dem Handy gewischt. Als wäre ich nicht da. Plötzlich geht die Tür auf. Eine Kollegin, zufälligerweise meine Vorgesetzte, die dasselbe Fach unterrichtet, möchte mich wegen einer Vertretungsangelegenheit kurz sprechen. Nun bin ich es, der nicht zuhört. Sie merkt sofort, was mit mir los ist. „Du, wenn du willst, übernehme ich den Kurs nächstes Jahr“, sagt sie noch am selben Tag. Ich will.

Man sollte sich nichts vormachen: Das Scheitern gehört in unserem Beruf dazu. Und es ist keine Schande, dann um Hilfe zu bitten oder angenommene Hilfe anzunehmen. Aber die beglückenden Momente überwiegen. Und genau von diesen kleinen, alltäglichen Glücksmomenten, die einen das Lehrerleben immer wieder versüßen, erzähle ich das nächste Mal.

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