Kultur Vom Paris des 19. Jahrhunderts bis in das Japan von heute

Wuppertal · Autor Philipp Weiss präsentierte im Cafe Ada seinen neuen Roman.

 Philipp Weiss hat bei „Literatur auf der Insel“ Passagen aus seinem Werk „Am Weltenrand sitzen die Menschen und lachen“ vorgelesen.

Philipp Weiss hat bei „Literatur auf der Insel“ Passagen aus seinem Werk „Am Weltenrand sitzen die Menschen und lachen“ vorgelesen.

Foto: Fries, Stefan (fri)

Bereits im Mai 2020 sollte Philipp Weiss bei der Literatur Biennale „Tier-Mensch-Maschinen“ bei „Literatur auf der Insel“ zu Gast sein. Am Freitag war es im Ada soweit – der Schriftsteller war vor Ort. In einer Hybrid-Veranstaltung war sein über 1000 Seiten starkes Werk „Am Weltenrand sitzen die Menschen und lachen“ vor Publikum und im Live-Stream Thema. Der Mensch im Anthropozän, der Benennung des Zeitalters, einer geochronologischen Epoche, in dem der Mensch zum wichtigsten Einflussfaktor auf die biologischen, geopolitischen und atmosphärischen Prozesse auf der Erde geworden ist, sein Verhältnis zur Natur und Technik und die Verwandlung der Welt. Vom Paris des 19. Jahrhunderts bis in das gegenwärtige Japan, spannt Weiss den Bogen. Und das in fünf aufwendig gestalteten Bänden, in Form von Enzyklopädie, klassischer Erzählung, philosophisch angehauchtem Notizheft, Audiotranskription und Comic. Denn bei allem Fachwissen ist der Roman kein „Sachbuch, sondern wird erzählerisch getragen“, so Gastgeber Thorsten Krug. Durch die zentrale gestalterische Kraft des Menschen wurde, was menschliche Gesellschaft und Zivilisation bedeutete, auf den Kopf gestellt. Der fünfbändige Roman sei „eine faszinierende Art sich der Welt zu nähern“, findet Uta Atzpodien.

So verschieden wie die Genres sind auch die fiktiven Autoren des Romans. Fünf unterschiedliche Personen kommen in den einzelnen, stilistisch different gestalteten Bänden vor, jede mit ihrem eigenen Sprachklang. Verschiedenste Erzählweisen puzzleartig zu einer Textlandschaft geformt, in der die Protagonisten miteinander verbunden sind. Die 17-jährige Paulette, die 1871 den Aufstand der Pariser Kommune erlebt, als eine der ersten europäischen Frauen das Japan der Meiji-Ära (Regentschaft des Tennos Mutsuhito: 25.Januar 1868 bis zum Tod des Kaisers am 30.Juli 1912) bereiste und über 130 Jahre verborgen im Gletschereis liegt, ihre Ururenkelin Chantal, eine Klimaforscherin die vor ihrer Liebe zu dem Künstler Jona flieht, die sie als Tragödie empfindet. Dieser begibt sich in Japan auf die Suche nach ihr und erlebt den Tsunami und Atomunfall mit.

„Bei erzählerischen Intentionen
reise ich oft zum Schauplatz“

Die Katastrophe von Fukushima stand am Beginn des Romanprojektes und Weiss reiste nach Japan. „Bei erzählerischen Intentionen reise ich oft zum jeweiligen Schauplatz.“ Die Auseinandersetzung mit den Orten und Begebenheiten sind für ihn eine wichtige Quelle und rituale Momente seiner literarischen Arbeit. Dabei reist er allein, damit „ich mich dem Unbekannten stellen und ihm erlauben kann, dass es mich wandelt“. Aufgegriffen werden die Geschehnisse aus der Perspektive des kleinen Akio, der mit seiner Familie Fukushima erlebt. Fünf Ich-Erzähler transportieren in ihrer jeweiligen Sprechweise und Rhythmus ihre Geschichten. Einen Einblick darin bekommen die Zuhörer durch die Leseproben des Autors. Nicht jeder Autor vermag seine Werke auch gut vorzulesen, Philipp Weiss kann es. Es war ein Vergnügen, ihm zu lauschen, wenn er in seiner ruhigen und gleichzeitig bestimmenden Art vortrug. Für ihn, der seine Bände mal mit ineinander verschachtelten russischen Puppen verglich, kann herkömmliches Erzählen die heutige Welt nicht mehr adäquat abbilden. Dazu passt, dass sich diesem Roman-Konvolut mit herkömmlichen Lesen nicht zwingend zu nähern ist. Es gibt keine Reihenfolge der Bände, so dass das Angebot besteht, quer, selektiv oder auch parallel zu lesen - Weiss machte es im Ada ebenso. Technischer Fortschritt und drohende Selbstzerstörung der Menschheit, der Versuch der totalen Kontrolle führt zur Katastrophe.

Es ist ein paradoxes Unterfangen in einer begrenzten Welt unbegrenzt leben zu wollen. „Wir wollen alles technisch lösen und müssen uns fragen, was ist mit unserem Naturverständnis falsch“, so Weiss. Die Komplexität der Welt in der wir leben, erzählbar machen, Weiss bietet, nicht nur im Roman sondern auch im Gespräch mit Krug und Atzpodien mit viel Wissen aus verschiedenen Gebieten auf.

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