Der Tag, an dem Wuppertal den Thron der Republik erklomm Versöhnen statt spalten: Der Tag, an dem Johannes Rau Bundespräsident wurde

Es war der zweite Anlauf, aber der langjährige Ministerpräsident und ehemalige Oberbürgermeister wurde am 23. Mai 1999 ins Amt seiner Träume gewählt.

 Bundesaußenminister Joschka Fischer (r.) gratuliert am 23. Mai 1999 nach Bekanntgabe des Auszählungsergebnisses für die Wahl des Bundespräsidenten im Berliner Reichstagsgebäude dem SPD-Kandidaten Johannes Rau.

Bundesaußenminister Joschka Fischer (r.) gratuliert am 23. Mai 1999 nach Bekanntgabe des Auszählungsergebnisses für die Wahl des Bundespräsidenten im Berliner Reichstagsgebäude dem SPD-Kandidaten Johannes Rau.

Foto: picture-alliance/ dpa/dpaweb/Michael Jung

Das Amt passte zu seinem Träger, und der Träger passte zum Amt. Das ist längst nicht immer so im Politikbetrieb. Und auch das Schloss Bellevue hat Bewohner gesehen, mit denen es nicht warm wurde. Bei Johannes Rau war das anders. Er passte nicht nur in das Amt des Bundespräsidenten, ihm stand auch das Schloss Bellevue. Es stand ihm, weil er es erdete. Er passte in das Amt, weil er in seinem Verhalten geerdet war und geerdet blieb. Vielleicht wird Bellevue nie wieder so sehr ein Schloss des Volkes sein wie in der Zeit, in der Johannes Rau dort mit seiner Ehefrau Christina und den drei Kindern lebte. Rau war eben kein Großkopferter, er war nie ein Vertreter der Bussi-Gesellschaft und der Sektflöten-Stehempfänge. So etwas passt auch nicht zu einem Protestanten aus Barmen, zu einem Mann des Buches, des Wortes. Das war klar, als die Bundesversammlung Johannes Rau am 23. Mai 1999 zum Bundespräsidenten und Nachfolger von Roman Herzog wählte. An diesem Tag erreichte Rau, was er sich nach seiner gescheiterten Kanzlerkandidatur in den 1980er Jahren vielleicht am meisten gewünscht hat. Denn „Versöhnen statt spalten“ war mit zunehmender Lebensdauer der Antrieb des ebenso professionellen wie bürgernahen Politikers geworden. Johannes Rau - das war evangelische Kirchengemeinde, Rauchen wie ein Ketzer, das waren regelmäßige Skatrunden in der Gaststätte Karpathen am Katernberg und im inzwischen abgerissenen Haus Richter in der Beek, das waren Gespräche und Geschichten. Vor allem aber war Johannes Rau auch knallharte, zielorientierte, hoch professionelle Politik. Die zeichnete ihn aus als kurzzeitiger Oberbürgermeister seiner Heimatstadt, als Minister für Wissenschaft und Forschung des Landes Nordrhein-Westfalen und erst recht in den mehr als 20 Jahren, in denen er das Amt des Ministerpräsidenten von Nordrhein-Westfalen bekleidete. Es ist schließlich auch in NRW nicht selbstverständlich, dass die SPD Landtagswahlen dreimal in Folge mit absoluter Mehrheit gewinnt. Das konnte nur einem Parteivorsitzenden und Landesvater gelingen, der in der Lage war, eine damals noch sehr große Partei zu einen und Millionen von Nordrhein-Westfalen für sich zu vereinnahmen.

Wuppertal hat sehr von
Johannes Rau profitiert

Auch wenn Rau in seiner Zeit als Ministerpräsident und erst recht in den fünf Jahren als Bundespräsident nie den Anschein erweckt hat, seine Heimatstadt in irgendeiner Weise zu bevorzugen, hat Wuppertal doch sehr von ihm profitiert. Das sichtbarste Zeichen seiner Arbeit steht dort, wo Wuppertals Kinder früher im Schnee die Schreinerswiese auf Schlitten hinunter rasten. Es ist nicht zuletzt der Arbeit von Rau als Landesminister zu verdanken, dass Wuppertal sich heute Universitätsstadt nennen darf. Die damalige Bergische Gesamthochschule und Universität ist ein Kapitel in der Geschichte der Hochschul-Regionalisierung. Sie trägt die Handschrift Raus, auf den auch die Gründung der Fernuniversität Hagen zurückgeht. Dass Bildung der Schlüssel zu allem ist, brauchte dem Sozialdemokraten, dem Verlagsdirektor und freien Journalisten niemand zu erzählen.

Johannes Rau war das, was gemeinhin ein Menschenfischer genannt wird. Ihm zuzuhören war immer mit Spannung und Kurzweil verbunden. Rau war ein großartiger Geschichtenerzähler und ein ebenso großartiger Mahner. Aufgabe eines jeden Präsidenten der Bundesrepublik Deutschland ist es, Maß und Mitte zu propagieren und zu halten. Das konnte Rau wie wenige andere. „Gelegentlich kann man den Eindruck gewinnen: Unser Land, seine Zukunft, das alles bedeutet vielen nichts mehr“, sagte er in seiner letzten Rede im Schloss Bellevue. Er meinte vor allem die Gier, das Anspruchsdenken und den Egoismus, den er vor allem unter den Eliten der Gesellschaft ausgemacht hatte.

Die Deutschen haben Rau solche Urteile abgenommen, weil sie gerade erst eine Börsenblase hatten platzen sehen und weil er authentisch war, eben einer, der das politische Handwerk von der Pike auf gelernt und die große Bühne von der vermeintlichen Provinz aus betreten hatte.

Außenpolitisch machte Rau im zweiten Jahr seiner Amtszeit von sich reden. Vom Gedanken Aussöhnung beseelt und mit der Bitte um Vergebung für den Holocaust, war Rau der erste deutsche Politiker, der vor dem israelischen Parlament, der Knesset, sprechen durfte. Dass dies auch noch auf Deutsch geschehen durfte, zeigt die besondere Wertschätzung für den Bundespräsidenten und Menschen.

In den neuen Zeiten von Nationalismus, in Zeiten, in denen Politik im Twitter-Stil mit Facebook-Attitüde gemacht wird, in denen Trumps und Orbans die Oberhand zu gewinnen scheinen, in solchen Zeiten fehlen Menschen, fehlen Politiker wie Johannes Rau. Der Mann aus Barmen, der Mann für Schloss Bellevue ist am 26. Januar 2006 im Alter von 75 Jahren gestorben. Er wurde in seiner Wahlheimat Berlin beigesetzt. In Wuppertal erinnern unter anderem der Platz vor dem Rathaus und das Gymnasium an der Siegesstraße an einen der ganz großen Sozialdemokraten, Minister- und Bundespräsidenten.

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