Verlangt nicht zu viel von den Menschen

In nicht allzu ferner Zukunft, wird das Ehrenamt den Tagesrhythmus des Wuppertalers bestimmen. Morgens schaut er in der Stadtteilbibliothek vorbei, um dort den gerade ausgelesenen Besteller abzugeben, weil die Stadt ja kein Geld für Bücher mehr hat.

Dann schafft es der Wuppertaler noch rechtzeitig ins Hallenbad, um dort vier Stunden Aufsicht zu führen. Der Stadt fehlt das Personal, sie ist auf ehrenamtliche Förderer angewiesen, damit das Bad nicht geschlossen wird. Gegen Mittag wird er in der Kindertagesstätte erwartet, um dort das von ihm selbst gespendete Essen an die Kleinen auszugeben. Zum Vorlesen kommt er nicht mehr, weil das Buch der Bibliothek überlassen wurde. Dafür bleibt am Nachmittag Zeit, um eine öffentliche Grünfläche zu reinigen, die ohne ehrenamtliches Engagement längst verwildert wäre. Abends erfährt der Wuppertaler im Internet, an welchen Stellen die Stadt ihn noch benötigt. Ganz neu in der Liste ist das Gemeinschaftserlebnis Straßendienst. Rentnerscharen rücken am Wochenende zu besonders schlimm durch Schlaglöcher entstellten Straßen aus, um Billig-Asphalt aufzutragen. Der hält zwar nur einen Winter, aber die rüstigen Alten kommen gern nächstes Jahr wieder.

So verdienstvoll ehrenamtliches Engagement auch sein mag - alles hat seine Grenzen. Wenn Steuern nur noch zum Schuldenabbau verwandt werden und Stadt und Staat darauf vertrauen, dass die Grundversorgung durch Freiwillige sichergestellt wird, dann wird das Ehrenamt konterkariert. Engagement und Spendenbereitschaft werden zweckentfremdet, weil sie als Ersatz für öffentliche Pflichtaufgaben dienen. Die Stadt muss aufpassen, nicht zu viel von ihren Bürgern zu verlangen. Die von Kämmerern gern wiederholten Ermahnungen, wer bestimmte Dienstleistungen wolle, müsse sich schon selbst einbringen, macht aus engagierten Ehrenamtlern ganz schnell verbitterte Verweigerer.

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