Tiergestützte Arbeit Besuch von Huhn, Schwein und Ziege

Wuppertal · Tiergestützte Arbeit stößt in vielen Einrichtungen auf wachsendes Interesse. Aber nur selten finden sie ein so breites Angebot einsatzbereiter Tierarten wie bei der Wuppertaler Eselsbrücke.

 Für sie ist die tägliche Tierbegegnung eine Selbstverständlichkeit: Katrin Baalasingam (36), Inhaberin der Wuppertaler Eselsbrücke, und ihre Kinder Amelie (5, l.) und Bela (3).

Für sie ist die tägliche Tierbegegnung eine Selbstverständlichkeit: Katrin Baalasingam (36), Inhaberin der Wuppertaler Eselsbrücke, und ihre Kinder Amelie (5, l.) und Bela (3).

Foto: JA/Fischer, Andreas H503840

Die beiden Minischweine heißen Bacon und Cabanossi. Wer darin einen Hinweis auf ihre künftige Verwendung erkennen will, liegt allerdings komplett falsch. Auf Katrin Baalasingams Hof in Wuppertal-Vohwinkel hat nicht nur jedes Tier seinen Namen und seine eigene Persönlichkeit, sondern auch die Garantie, „dass hier niemand gegessen wird“. Die Qualität von Bacon und Cabanossi liegt nicht darin, wie sie schmecken, sondern wie sie wirken – und zwar auf Menschen.

Das haben sie gemeinsam mit den drei Eseln, vier Ponys, vier Ziegen, acht Meerschweinchen, den Kaninchen, Katzen, Hunden und den Hühnern: Alle werden von ihrer Besitzerin charakterlich so friedlich eingeschätzt, dass sie für den erlebnispädagogischen Einsatz geeignet sind und regelmäßig Besuch empfangen können: von Kita- und Schulkindern, von Familien und Behinderten. Und wenn die Menschen nicht selbst kommen können, dann kommen die Tiere. In den Werkstätten der Lebenshilfe oder in Altenzentren fährt Baalasingam auch schon mal mit einem ihrer Esel oder Ponys im Aufzug, um den Aufenthaltsraum zu erreichen.

Tiergestützte Arbeit lautet der Fachbegriff dafür. Und das Angebot in seinen vielen pädagogischen und therapeutischen Facetten boomt. Der bekannteste und etablierteste Bereich ist die Reittherapie. „Aber grundsätzlich ist jede Tierart geeignet“, sagt die Sozialpädagogin. Jede Tierart, aber natürlich nicht jedes Tier. „Und Wildtiere würde ich ausschließen.“

Katrin Baalasingam selbst hat schon seit ihrer Kindheit einen Bezug zu Tieren. Ursprünglich hatte sie die Arbeit mit Pferden und Menschen im Sinn. „Aber dann habe ich festgestellt, dass alle Tiere eine Wirkung haben.“ Als sie in eine auffällige Klasse der Förderschule, in der sie damals arbeitete, ihre Hündin mitnahm, war sofort ein Stimmungswandel zu beobachten: „Die Jungs haben nicht mehr gegeneinander gearbeitet, sondern für den Hund.“

 Gea Olbricht, Lehrkraft am Berufskolleg der Bergischen Diakonie Aprath, besucht die Eselsbrücke regelmäßig mit den angehenden Erziehern.

Gea Olbricht, Lehrkraft am Berufskolleg der Bergischen Diakonie Aprath, besucht die Eselsbrücke regelmäßig mit den angehenden Erziehern.

Foto: JA/Fischer, Andreas H503840

Nach der Weiterbildung für tiergestützte Pädagogik und Therapie folgte 2010 die Gründung der Eselsbrücke. Und dass sie mittlerweile in der Lage ist, sich ihre Aufträge in Wuppertal und Umgebung auch mal aussuchen zu können, ist auch ein kleiner Beleg dafür, dass der ungezwungene Kontakt zwischen Mensch und Tier längst keine Selbstverständlichkeit mehr ist, die Sehnsucht danach dafür immer größer wird.

Wenn Baalasingam von ihrer Arbeit erzählt und den schönen Momenten, die sie ihr beschert, dann wird schnell deutlich, welche erstaunliche Wirkungen Tiere bei Menschen auslösen können. „Demenziell Erkrankte beispielsweise reagieren unglaublich gut auf Hühner.“ Schon oft hat die Pädagogin beobachtet, wie in sich verkapselte Bewohner von Seniorenheimen plötzlich wieder auflebten – angesichts der Geräusche und Gerüche, die sie an ihre oftmals vorhandene landwirtschaftliche Vergangenheit erinnerten. „Manchen fällt bei Kaninchen allerdings auch das frühere Lieblingsgericht wieder ein“, sagt sie lachend.

Hund auf dem Bauch
spastisch gelähmter Kinder

Oder die bewegenden Momente, wenn Rollstuhlkinder auf Turnmatten liegen und sich das Pony frei zwischen ihnen bewegt. „Dann sieht man, wie die Kinder darauf hinarbeiten, Kontakt zu dem Pony aufnehmen zu können. Das kann man therapeutisch kaum hinbekommen.“ Das Gleiche gilt für Kinder, deren Arme spastisch gelähmt nach hinten gestreckt sind. Aber wenn ein Hund auf ihrem Bauch liegt, arbeiten sie gegen ihre Spastik an, um ihn umarmen zu können. Dabei sind therapeutische Effekte gar nicht der Auftrag der Eselsbrücke. Eigentlich geht es um pädagogische Erlebnisse mit Tieren. „Die Kinder lernen, dass man nicht auf dem Ohr der Esel rumbeißt und dass man Fürsorge für die Tiere übernehmen kann.“

Ein Grund, warum Gea Olbricht großen Wert darauf legt, mit ihren Schülern regelmäßig bei der Eselsbrücke zu Gast zu sein. Die Zoologin und frühere Pressesprecherin des Wuppertaler Zoos unterrichtet Biologie am Evangelischen Berufskolleg der Bergischen Diakonie Aprath. Die angehenden Erzieher in Kindertagesstätten und Kinder- und Jugendhilfeeinrichtungen will sie über die Eselsbrücke an die Natur heranführen – und an das große pädagogische Potenzial der Tiere. „Tiergestützte Arbeit gewinnt an Bedeutung“, bestätigt sie. Ihre Schüler sieht Olbricht dabei als wichtige Multiplikatoren an.

Die 57-Jährige wirbt auf allen Ebenen für eine größere Akzeptanz der tiergestützten Arbeit. Ob Krankenkassen, Kinderärzte, schulpsychologische Dienste oder Ärztekammern: Überall sei noch Überzeugungsarbeit notwendig. Zufrieden verweist Olbricht darauf, dass es seitens des NRW-Schulministeriums seit September 2015 eine Handreichung zum Einsatz von Schulhunden gibt – bundesweit einzigartig. Mit zunehmender Professionalisierung der tiergestützten Arbeit müsse allerdings auch der Zugang klarer geregelt werden. „Die Ansprüche sind noch nicht standardisiert.“

Die Eselsbrücke könnte da Maßstab sein, was möglich ist – und wen man damit alles erreichen kann. Mitte August war eine besondere Besuchergruppe zu Gast: vom Bergischen Kinder- und Jugendhospiz Burgholz. Auf dessen Facebookseite war anschließend zu lesen: „Vielen lieben Dank für diesen tollen Nachmittag! Wir haben die Zeit sehr genossen.“

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