Reportage Stark wie Maurer, sanft wie Mütter - der Arbeitstag einer Pflegekraft in Wuppertal

Wuppertal · Am 12. Mai ist Internationaler Tag der Pflegenden: Die WZ begleitete Pflegerin Zofia Tomala bei ihrer Arbeit mit alten und kranken Menschen.

 Willkommene Abwechslung: Pflegerin Zofia Tomala liest Bewohnerin Christiane Kretschmer vor.

Willkommene Abwechslung: Pflegerin Zofia Tomala liest Bewohnerin Christiane Kretschmer vor.

Foto: JA/Fischer, Andreas H503840

Von Daniel Neukirchen

„Guten Morgen, Helga“, sagt Pflegerin Zofia Tomala. Sie betritt einen Raum, der so aussieht wie ein zusammengeschrumpftes Wohnzimmer mit Bett. Wohin der Blick fällt, überall erzählen Fotos die Geschichte eines Lebens: Hochzeiten, Familienfeiern, Taufen. Sie sollen dafür sorgen, dass sich die 97-jährige Demenzkranke, die da unter der Decke liegt, behaglich fühlt. Deswegen tut Zofia Tomala jetzt auch so, als sei sie an diesem Morgen zum ersten Mal im Zimmer. Tomala erklärt: „Wenn ich jetzt sage, dass wir uns ja eben schon gesehen haben, dann verwirrt sie das nur.“ Helga I. hat am Morgen schon Schmerzmittel bekommen, damit die morgendliche Pflege für sie so angenehm wie möglich verläuft.

Die zierliche Pflegerin streift sich Handschuhe über und holt die angeschwollenen Füße der Bewohnerin unter der Decke hervor. Sie muss ihr jetzt Gummistrümpfe überziehen - keine leichte Übung. Tomala, die seit 25 Jahren in dem Caritas-Altenzentrum St. Suitbertus in der Elberfelder Südstadt arbeitet, verwendet so viel Kraft wie nötig, ist dabei gleichzeitig so sanft wie möglich.

Tomala sagt: „Es gab eine Studie, die untersucht hat, wer die schwerere körperliche Arbeit verrichtet: Maurer, die eine Mauer bauen, oder Pfleger, die einem Menschen Gummistrümpfe anziehen.“ Die 61-Jährige sagt: „Die Pfleger haben gewonnen.“

Im Heim an der Kölner Straße leben 77 pflegebedürftige Menschen. Sie müssen morgens aus dem Bett gehoben werden, sie müssen von oben bis unten abgeduscht und im Intimbereich gewaschen werden. Andere brauchen alle zwei Stunden eine helfende Hand, die sie in der Nacht wendet, damit sie sich nicht wund liegen. Und wieder andere sind noch ganz fit und wollen einfach nur ein nettes Gespräch führen.

Auf dem Schminkstuhl werden
Erinnerungen an früher wach

Wohnbereichsleiterin Tomala ist eine von 80 Menschen, die all diese Aufgaben in fünf Schichten rund um die Uhr übernehmen. Das Problem: Die Zahl der stark Pflegebedürftigen nimmt immer weiter zu. Als Tomala angefangen hat, waren die Über-90-Jährigen im Heim in der Unterzahl. Heute ist das anders. An der Kölner Straße leben 42 Menschen, die älter als 90 Jahre sind – eine Bewohnerin ist 105.

Da wird es zunehmend schwerer, sich die Zeit für die Dinge zu nehmen, die der Pflegeplan nicht diktiert – das Zwischenmenschliche. Zofia Tomala hat Helga I. auf einen Stuhl im Badezimmer gesetzt und holt einen Lippenstift hervor. „Die Damen werden geschminkt, weil sie es schon immer so gemacht haben“, sagt Pflegedienstleiterin Henni Kroon.

Welches Parfüm die Frauen gerne mögen, haben sie zwar teilweise selbst vergessen, aber der Biografiebogen, den das Heim zusammen mit den Angehörigen ausgefüllt hat, gibt Aufschluss über solche persönlichen Präferenzen. „Für die Menschen soll das hier keine andere Welt sein.“

Für den Außenstehenden ist das Leben im Pflegeheim aber schon deswegen etwas Besonderes, weil hier der Tod ein alltägliches Thema ist. Heute auch wieder: In der Nacht ist eine Bewohnerin gestorben. Auf Pflegedienstleiterin Kroon kommt jetzt eine schwierige Aufgabe zu: „Ich muss mit den Angehörigen sprechen.“

Obwohl sie schon seit 24 Jahren an der Kölner Straße arbeitet und unzählige Male traurige Nachrichten überbracht habe, sei jedes Gespräch anders, nie Routine. „Ich bin nicht abgestumpft“, sagt Kroon. Sie hat die Erfahrung gemacht: „Egal wie alt eine Mutter war und auch wenn die Angehörigen schon vorbereitet waren – das Herz weint trotzdem.“

Ein trauriger Ort soll das Pflegeheim aber nicht sein. Als Helga I. in den Frühstücksraum gefahren wird, beginnt sie plötzlich zu strahlen, als hätte man in ihrem Innersten einen Schalter umgelegt. Der Raum ist bereits karnevalistisch geschmückt, farbige Girlanden hängen an der Decke. „Wie schön bunt das hier aussieht“, sagt die Frau, die mit ihrem Rollstuhl an einen Tisch geschoben wird, auf dem ein Toastbrot, Kaffee und eine blaue Tasse mit Pillen auf sie warten.

Tomala hat heute noch sieben weitere Bewohner zu versorgen. Auf dem Weg nach oben spricht sie eine Frau im Rollator an und sagt: „Das ist immer so schön, wenn du zu mir kommst.“ Die Pflegerin lächelt. „Das Schönste an meinem Beruf ist, wie viel man von den Menschen zurückbekommt.“ Das Feedback sei sehr warmherzig. Tomala möchte daher ihren Job nicht missen.

Aber er sei auch nicht für jeden geeignet. Gerade die Arbeit mit Dementen könne aufreibend sein. Tomala wurde schon gekratzt und bespuckt, weil es Bewohner gibt, die nicht verstehen, dass die Pfleger ihnen nur helfen wollen. Doch für Tomala sind solche Vorfälle Herausforderungen, die es zu meistern gilt. „Man muss Menschen mögen“, sagt Tomala, öffnet eine Tür und wird von einem Lachen empfangen.

Dieser Artikel erschien erstmals am 7. Februar 2020 in der Printausgabe der Westdeutschen Zeitung.

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