Wuppertals Bunker: Unter Tage in die Vergangenheit (mit Video)

Daniela Althaus ist ein Bunker-Fan — und will die unterirdischen Stätten erhalten.

Wuppertal. Geschäftiges Treiben herrscht auf dem Wuppertaler Neumarkt. Passanten eilen an Obst- und Gemüseständen vorbei — unwissend, dass sich einige Meter unter ihren Füßen ein Stückchen Geschichte verbirgt.

Gleich neben dem Imbiss-Stand führt eine Treppe hinab in Wuppertals Vergangenheit. Ein schweres Eisenschloss hängt vor einer Gittertür. Feucht und moderig ist die Luft, die aus dem dunklen Gang dahinter hervor dringt. Doch der düstere Ort war früher einmal Zufluchtsstelle für Hunderte von Wuppertalern. Hier, im Luftschutzbunker am Neumarkt, fanden während des Zweiten Weltkriegs rund 450 Menschen Schutz vor den Bombardements der Alliierten.

„Ich war schon in vielen Bunkern, aber keine Anlage ist so authentisch und gut erhalten wie diese hier“, schwärmt Daniela Althaus und kramt aus ihrem Rucksack einen Schlüssel hervor, mit dem sie die Tür zum Bunker aufschließt. Die 40-Jährige ist nicht nur gelernte Rechtsanwaltsgehilfin und alleinerziehende Mutter, sondern vor allem auch passionierte Hobby-Forscherin. Seit 2008 erkundet sie Wuppertals unterirdische Tunnel- und Bunkersysteme. „Gegen Kriegsende verlagerten Firmen wie Espenlaub, Vorwerk oder I.G. Farben, ihre Rüstungsproduktion in geheime, unterirdische Produktionsstätten. Sogar Brauereien und Eiskeller wurden damals für die Rüstungsproduktion genutzt.“

Trotzdem gebe es kaum Literatur zum Thema. „Wir haben so viel Geschichte. Warum kümmert sich keiner darum?“, klagt Althaus. Wuppertals düstere Geschichte aufzuarbeiten, ist für sie deshalb mehr als nur eine Freizeitbeschäftigung, es ist ihre Passion. Ihrer vierjährigen Tochter hat sie sogar den Namen Mina gegeben, das heißt auf Spanisch Bergwerk. Ihren Schutzhelm, eine Taschenlampe und ihre Kamera trägt Daniela Althaus immer bei sich, denn, so erzählt sie, jedes Loch im Wald, jeder Gullydeckel könne der Zugang zu einem Tunnelsystem sein.

Um Wuppertals Tunnel und Bunker zu erforschen, ist Althaus in den vergangenen Jahren deshalb schon durch so manches schmale Erdloch gekrochen; sie hat Archive durchforstet, Zeitzeugen ausfindig gemacht und das gesammelte Wissen auf ihrer Webseite zusammengetragen.

Das Leid der Zwangsarbeiter in den unterirdischen Rüstungsstätten, aber auch die beklemmenden Zustände in den Luftschutzbunkern. Daniela Althaus will, dass dieser Teil Wuppertaler Geschichte nicht vergessen wird. „Ich will das Unsichtbare sichtbar machen“, erklärt sie und leuchtet mit ihrer Taschenlampe durch den schmalen, dunklen Gang des Luftschutzbunkers am Neumarkt.

An den Wänden sind klappbare Holzbänke befestigt. „Immer wenn ich hier bin, habe ich das Gefühl, es ist erst gestern gewesen“, sagt Althaus bedrückt. „Alle sitzen hier auf den Bänken. Der Bunker vibriert, die Kinder weinen, die Alten husten. Und die Menschen wissen nicht, ob sie lebend wieder rauskommen.“

Um die dem Bunker zugeführte Luft von Kampfstoffen zu reinigen, wurde in Raum Nr. 31 extra eine Filter-Anlage errichtet. Aber auch kleinere Relikte sind für Daniela Althaus von historischem Wert. Manchmal findet sie in den Nischen und Winkeln der Bunkern vergessene Besitztümer der einstigen Bewohner: Porzellanmurmeln von Kindern, Haarspangen und Fetzen vergilbten Zeitungspapiers.

In einigen Räumen zeugen verblichene Blümchentapeten davon, dass in den Jahren nach dem Krieg ganze Familien dauerhaft in dem Bunker leben mussten, weil sie ihr Zuhause verloren hatten. Inschriften wie „Nr. 5 Familie R. Terstegen“ oder „Nr. 19 Fortuna“ zeigen heute noch an, welche Familie den beklemmend kleinen Bunker-Raum hinter der jeweiligen Eisentür bewohnte.

Wuppertals dunkle Geschichte bedrückt und fasziniert Daniela Althaus zugleich. „Man hat das Gefühl, man befindet sich in einer Zeitmaschine“, beschreibt sie ihre Expeditionen unter Tage. Dass Wuppertals dunkle Geschichte eines Tages vergessen werden könnte und die historischen Stätten verfallen, damit möchte Daniela Althaus sich deshalb auf keinen Fall abfinden.

„Ich würde auch 24 Stunden arbeiten, um das hier hinzukriegen“, erklärt sie leidenschaftlich. Auch die Stadt Wuppertal, die derzeitige Eigentümerin des Bunkers am Neumarkt, möchte sie deshalb von ihren Plänen überzeugen. „Und wenn ich persönlich zum Oberbürgermeister gehen muss.“

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