Gedenk-Veranstaltung Gedenken an erste Deportation von Juden in Wuppertal

Elberfeld · Vor 80 Jahren wurden vom Bahnhof Steinbeck aus 200 polnische Juden ausgewiesen. Bislang ist über das Schicksal der Betroffenen wenig bekannt.

SPD-Landtagsabgeordneter Josef Neumann (v.l.), Stephan Stracke und Andrzej Dudzinski (Konsul der Republik Polen) nahmen an der Gedenkfeier teil.

SPD-Landtagsabgeordneter Josef Neumann (v.l.), Stephan Stracke und Andrzej Dudzinski (Konsul der Republik Polen) nahmen an der Gedenkfeier teil.

Foto: Bartsch,G. (b13)

. Der Obelisk auf dem Gleis am Steinbecker Bahnhof ist gut zwei Meter hoch. Das Mahnmal erinnert daran, dass von dort im Zweiten Weltkrieg – in den Jahren 1942 und 1943 – „über 1000 jüdische Mitbürger deportiert und damit in den sicheren Tod geschickt“ wurden, wie es auf einer der vier Seiten heißt. Dass die Deportation jüdischer Mitbürger allerdings schon einige Jahre zuvor begann, darauf machte am Sonntagnachmittag der Verein zur Erforschung der sozialen Bewegungen im Wuppertal aufmerksam. Er erinnerte in einer Gedenkstunde an die 200 polnischen Jüdinnen und Juden, die am 28. Oktober 1938 im Bergischen Land verhaftet und nach Zwischenstopp in Düsseldorf über die polnische Grenze in das Städtchen Zbaszyn (Bentschen) abgeschoben wurden.

Mit der Deportation vor nunmehr 80 Jahren rücke ein Schicksal in den Fokus, das in der NS-Zeit noch von vielen weiteren jüdischen Mitbürgern geteilt wurde, sagte Stephan Stracke vom Verein zur Erforschung der sozialen Bewegungen im Wuppertal. Es sei die „erste große Deportation“ von Juden in Wuppertal gewesen. Hintergrund war, dass der SS-Reichsführer Heinrich Himmler dem Düsseldorfer Regierungspräsidenten die Anweisung erteilt hatte, alle polnischen Juden mit gültigem Pass in „Abschiebehaft“ zu nehmen und über die polnische Grenze in das Nachbarland zu transportieren.

Doch die Aktion war nicht auf den Düsseldorfer Bezirk beschränkt: Bis zu 17 000 polnische Juden seien reichsweit von dieser ersten „Polenaktion“ betroffen, etwa 11 000 davon kamen in dem Städtchen Bentschen unter, nachdem sie von deutscher Seite mit Gewalt über die Grenze getrieben wurden, berichtete Stracke. Die Bevölkerung der Stadt war zunächst überrascht von den Ankommenden, kümmerte sich in der Folge aber um die Deportierten: Eine Form der Willkommenskultur, die als „Wunder von Zbaszyn“ bekannt wurde. Menschen, die Verwandte in Polen hatten, reisten meist weiter. Zudem halfen Vertreter jüdischer Hilfsorganisationen aus Warschau und errichteten eine zweite Stadt für die Ankommenden.

Leider wisse man von vielen der betroffenen polnischen Juden aus Wuppertal, Remscheid und Solingen nach wie vor wenig, betonte Stracke. 146 von ihnen sind bislang namentlich bekannt, 105 überlebten den Zweiten Weltkrieg nicht, der im September 1939 mit dem Angriff Deutschlands auf Polen begann. „Bei vielen kennen wir bis heute nicht das konkrete Schicksal“, sagte Stracke. Hier sei noch weitere Forschung nötig.

Parallelen zwischen
Vergangenheit und Gegenwart

Die „Polenaktion“ ist zudem Teil der Vorgeschichte der Reichspogromnacht vom 9. November 1938. Ein polnischstämmiger Jude, Herschel Grynszpan, erschoss in Paris den deutschen Diplomaten Ernst vom Rath, um auf das Leid seiner abgeschobenen Familie aufmerksam zu machen. Die Tat nahmen die Nationalsozialisten zum Vorwand für die Pogromnacht.

Zum Abschluss der Gedenkfeier am Steinbecker Bahnhof wurden die Namen der Deportierten verlesen und Blumen sowie ein kleiner Kranz am Mahnmal abgelegt. Zudem wurde per Video-Anruf qua Smartphone eine Verbindung zu Richard Aronowitz in Oxford hergestellt, dessen Großonkel von der Deportation aus Wuppertal betroffen war. Er habe erst spät von diesem historischen Ereignis erfahren, erklärte Aronowitz gegen den Lärm der durchfahrenden Züge und hupenden Autos. Es sei für ihn „sehr merkwürdig“ gewesen zu erfahren, dass sein Großonkel aus Wuppertal deportiert wurde, obwohl er dort doch 1913 geboren worden war.

Als politischer Vertreter zog der Wuppertaler SPD-Landtagsabgeordnete Josef Neumann eine Parallele zwischen der NS-Zeit und der Gegenwart. Damals wie heute sei die Frage, wer bereit sei, flüchtende Menschen aufzunehmen, und wer bereit sei, Menschen auszuweisen. Die Erinnerung an die Deportation vor 80 Jahren sei eine „Mahnung“ daran, sich deutlich zu machen, wozu „Maßnahmen dienen, die von Rassismus und Hass betroffen sind“. Insofern sei es „fatal“, dass auch heute – 80 Jahre nach den Ereignissen – wieder über die „Frage von Aufnahme, Flucht und Vertreibung“ diskutiert werden müsse. Das Thema sei „topaktuell“.

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