Die Gathe ist Wuppertals Zonenrandgebiet

Die Gathe ist das vergessene Wohnquartier Elberfelds. Es wurde dem Individualverkehr und den Spielhallen geopfert.

Die Gathe ist auf dem absteigenden Ast.

Die Gathe ist auf dem absteigenden Ast.

Foto: Fischer, A. (f22)

Elberfeld. Spielhalle, Tattoo-Studio, dazwischen ein Dönerladen. Handyshops, ein türkischer Supermarkt und Leerstand. Die Gathe ist auf dem absteigenden Ast. Seit Jahren. Die Haupteinfallstraße aus Richtung der A 46 nach Elberfeld spielt auf der Tagesordnung der Stadtverwaltung unter Oberbürgermeister Andreas Mucke (SPD) keine Rolle. Und auch die Parteien im Stadtrat wenden sich lieber ab, als irgendwem mit irgendwas irgendwie Hoffnung zu machen. Die politische Vertretung des Bezirkes Elberfeld bemüht sich redlich, die Zahl der Spielhallen einzuschränken. Wenigstens das.

Die Gathe ist Wuppertals Zonenrandgebiet
Foto: Fischer, A. (f22)

Aber Jörg Heynkes hat viel Missmut vorgefunden, als er jetzt im Zuge seiner „Quartierspalaver“ Station in der Alten Feuerwache machte. Der Ort hat Symbolkraft. Er ist die letzte Insel der Streiter für eine bessere Gathe. Heynkes weiß das. Und er nutzt das. Der Geschäftsführer der Villa Media will als unabhängiger, von den Grünen unterstützter Kandidat in den Landtag. Jedes „Quartierspalaver“ ist eine Werbeveranstaltung. Doch es ist auch eine immer wieder neue Begegnung mit der Stadt, in der er vor 54 Jahren geboren wurde. Und er ist bisher der einzige Landtagskandidat, der sich an der Basis sehen lässt, der hingeht, wo es wehtun kann. Dass die Gathe seine Basis ist, dürfte eher unwahrscheinlich sein. Die meisten Menschen, die hier wohnen, scheren sich nicht mehr um Politik. Sie glauben nicht mehr, dass ihnen jemand wirklich helfen will. Der Stachel der Enttäuschung sitzt zu tief. Die ganz Orientierungslosen treffen sich im Autonomen Zentrum an der Gathe, träumen von einer anderen Gesellschaft. Mit Heynkes und den anderen etablierten Kräften wollen sie nichts zu tun haben. Wollten sie nie.

Die Gaststätte in der Alten Feuerwache, der offene Treffpunkt der städtischen Einrichtung, ist an diesem Abend gut besucht. Ein paar Mandatsträger der Grünen unterstützen ihren unabhängigen Kandidaten durch Anwesenheit, ein paar Bürger haben sich eingefunden und ein älterer und einige junge Besucher des Autonomen Zentrums. Heynkes trägt vor, was er weiß und was alle jeden Tag, jeden Abend sehen. Die Gathe ist ein Problemviertel Elberfelds. Hier treffen sich die Ärmsten der Armen. Sie ist Anlaufstelle für die Gestrandeten Europas. „Hier werden nicht mehr Wohnungen vermietet, sondern Matratzen“, berichtet ein Gast. Mehr können sich die Rumänen auch nicht leisten, die voller Hoffnung eine Hölle verlassen haben, um in der nächsten zu landen: Heynkes hat vom „Arbeiterstrich“ gehört, der sich jeden Morgen an der Gathe bilden soll. Menschen aus aller Herren Länder bieten sich für Niedrigstlöhne an. Kopfnicken im Saal.

Wer bei Tageslicht über die verkehrsreiche Straße geht, entdeckt mindestens zweierlei: Viele, überwiegend deprimierend vernachlässigte Fassaden verraten, dass die Gathe einmal so etwas wie eine Prachtmeile gewesen sein muss. Bis in die 80er Jahre des vergangenen Jahrhunderts hinein war sie, alteingesessenen Wuppertalern zufolge, immerhin noch eine Kneipenmeile. Davon ist heute vielleicht noch das Pizza Pazza übrig, eine Pizzeria mit langer Tradition, ein Treffpunkt. Die Clubs und Kneipen wirken heute mehr einschüchternd als einladend. Die neuere Bebauung folgt anscheinend weder der Geschichte dieser Straße noch irgendeinem Plan. Durchdachte Entwicklung findet in Wuppertal schon lange nicht mehr flächendeckend statt. Erst recht nicht im Hinterhof des neuen Döppersbergs. Die andere unausweichliche Entdeckung sind die vielen Männer, die sich über Tag und abends sowieso auf der Straße aufhalten. Es sind weit überwiegend Ausländer, die sich mit Landsleuten an Gaststätten oder Spielhallen treffen. „Da fühlt man sich als Frau schon unsicher“, sagt eine Besucherin des Quartierspalavers. Sie erntet viele zustimmende Blicke.

Joachim Heiß, Alte Feuerwache

Joachim Heiß leitet die Alte Feuerwache. Er ist seit Jahrzehnten darum bemüht, den Abwärtstrend des Wohnquartiers wenigstens zu verlangsamen. Die Sorgen, die Probleme, die Urteile und die Vorurteile über seine Straße haben ihn gelassener gemacht. Heiß verhehlt nicht, dass das Gebiet zwischen Nordstadt und Ostersbaum schon bessere Zeiten gesehen hat. Aber er wird kaum hörbar rebellisch, wenn die Gathe unreflektiert mit Kriminalität in Verbindung gebracht wird. Dem „ich habe gehört“ von Heynkes hält Heiß Fakten entgegen. „Die Kriminalitätsrate an der Gathe hat sich in den vergangenen zehn Jahren nicht anders entwickelt als in anderen Stadtgebieten“, sagt er ruhig. Die Information hat er vom zuständigen Bezirksbeamten der Polizei. Ein sanftes Licht in dunkler Zeit.

Denn auch wenn die Gathe nicht unsicherer ist als andere vergleichbare Straßen in Wuppertal, so ist ihre Zukunft doch eher grau. Während Nordstadt und Ostersbaum mit Hilfe der Bürger in den vergangenen Jahren einen sichtbaren Aufschwung erlebten, während selbst der einst als abgehängt qualifizierte Arrenberg den Wandel geschafft hat, ist die Gathe das Schmuddelkind der Stadt. Politik und Verwaltung überlassen sie ihrem Schicksal. Die großenteils zugewanderte Bevölkerung lebt ihr eigenes Leben. Selbst die Engagierten an der Gathe finden keinen Zugang. „Wir wollen doch niemanden etwas aufdrängen“, sagt eine Frau. „Aber miteinander zu sprechen, ist doch wichtig.“ Gerta Siller von den Grünen in der Elberfelder Bezirksvertretung nennt die Gathe ein „Zonenrandgebiet. Die Leute vom Ostersbaum und von der Nordstadt kümmern sich jeweils bis zur Gathe“. Die breite Straße bildet eine Art Demarkationslinie für bürgerliches Engagement.

Die Folgen sind fatal. Joachim Heiß und seine unermüdlichen Mitarbeiter in der Alten Feuerwache sind weit davon entfernt, die Flinte ins Korn zu werfen. Aber wenn er von den bis zu 250 Kindern aus Familien berichtet, in denen neben dem nötigsten zum Leben auch noch der Sinn für den Vorzug von Schulbildung fehlt, dann drückt auch seine Mimik tiefe Sorge aus. Und Besserung ist bisher nicht in Sicht. Auch Jörg Heynkes ist nicht an die Gathe gekommen, um das Blaue vom Himmel zu versprechen. Wie auch? Das Leben in der Stadt so zu organisieren, dass es für möglichst alle lebenswert ist, gehört zu den elementaren Aufgaben von Rat und Verwaltung in Wuppertal. Das Land spielt dabei eine Nebenrolle.

Aber Rat und Verwaltung kümmern sich kaum. Sie überlassen die Gathe ihrem Schicksal. Das gilt auch für die wichtige Frage danach, ob das Quartier eine neue, große Ditib-Moschee vertragen kann. Wer an der Straße lebt oder arbeitet, steht üblicherweise nicht im Verdacht, ausländer- oder islamfeindlich zu sein. Aber die Moschee ist ein Reizpunkt. Wie sollen sie beurteilen, was da geplant und gemacht wird, wenn niemand von der Ditib-Gemeinde mit ihnen spricht? Es gibt doch heute schon drei islamische Gebetshäuser an der Straße. Zu mehr Miteinander, zu einem gemeinsamen Benennen und Beseitigen von Schwierigkeiten haben sie bisher nicht geführt.

Für die Autonomen hängt an dieser Frage obendrein die Existenz ihres Zentrums. Kommt die große Moschee, müssen sie weichen. Und doch versichern die jungen Besucher des AZ glaubhaft, dass ihr Widerstand sich nicht gegen die Moslems richtet. Aber sie stehen Veränderungen grundsätzlich eher kritisch gegenüber, fürchten, dass Investitionen, etwa in den Baubestand zu höheren Mieten führen, dass ihr Kiez seinen Charme verliert. Welchen Charme? Ein Besucher des „Quartierspalavers“ empfindet die Gathe als den Ort, an dem diese Stadt wirklich großstädtisch ist, mit internationaler Vielfalt, mit anziehender Verruchtheit und abstoßendem Verfall. Vermutlich könnten die meisten derer, welche die Gathe trotz allem in ihr Herz geschlossen haben, auf diese Kehrseite der Medaille gut verzichten.

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