Distanzunterricht Kinder schämen sich, ihr Zuhause virtuell zu teilen

Barmen. · Der Distanzunterricht stellt Schüler und Lehrer vor Probleme. Manuela Tischinger, Schulleiterin an der Hauptschule Wichlinghausen, warnt vor Überforderung. Schamgefühle können hinzukommen.

 André Wegener, Lehrer an der Hauptschule St. Laurentius, gibt einem Schüler Hilfestellung.

André Wegener, Lehrer an der Hauptschule St. Laurentius, gibt einem Schüler Hilfestellung.

Foto: Fries, Stefan (fri)

Distanzunterricht wird zur Herausforderung bei Kindern, die weder die deutsche Sprache noch Schrift beherrschen. „Da ist es dann schwierig, Kontakt aufzunehmen“, sagt Wolfgang Steffens, Rektor der Hauptschule Sankt Laurentius in Elberfeld. Zwei Sprachanfängerklassen gibt es dort. Die Lehrer sind sehr erfinderisch, mit bildhaften Materialien die Kinder trotzdem zu erreichen. Doch Sprechen üben lässt sich nur im Dialog. Und der ist gerade bei neu Zugewanderten oft schwierig, weil der Internetzugang entweder nicht vorhanden oder stark limitiert ist.

Also packen die Lehrkräfte Lernpakete, die die Kinder in der Schule abholen oder die Schule nach Hause schickt. „Vieles ist nur möglich durch den intensiven Einsatz der Kollegen“, sagt Steffens.

Bei den Schülern in den regulären Klassen gibt es große Unterschiede. „Die Schüler in den Vorbereitungsklassen für den qualifizierten Hauptschulabschluss sind sehr motiviert und leistungsbereit“, freut sich Wolfgang Steffens. In den unteren Klassen hingegen gehen mehr Kinder verloren als im normalen Unterricht. „Manche stellen sich einfach tot“, bedauert der Rektor. Die Lehrerinnen oder Schulsozialarbeiter klingeln dann bei ihnen an der Haustür und fragen nach, was los ist. Geräte hingegen sind inzwischen meist kein Problem mehr, rund 30 hat die Schule an Schüler verteilt.

Doch schon die häusliche Situation macht vielen Kindern Schwierigkeiten: Manche leben auf engem Raum mit vielen Geschwistern. Sie haben dann keine Ruhe zum Lernen oder für eine Videokonferenz. „Manche schämen sich auch, ihren Hintergrund in der Videokonferenz zu zeigen“, erzählt Wolfgang Steffens. Die Klassenkameraden sollen nicht sehen, in welchen Verhältnissen sie leben. Die Lehrer versuchen, ihnen trotzdem Struktur zu vermitteln. Und wenn es nur die morgendliche Videobotschaft mit einem fröhlichen „Guten Morgen“ ist.

Kinder in der Notbetreuung
sitzen auf den Fluren

Für Fünft- und Sechstklässler hat die Hauptschule Sankt Laurentius eine Notbetreuung eingerichtet. Auf den weitläufigen Fluren der Schule sitzen die Kinder in großen Abständen und folgen dort ohne Ablenkung dem Digitalunterricht. Vereinzelt holen Lehrer auch bis zu drei Schüler für eine gezielte Schulstunde in die Schule. Trotzdem ist sich Wolfgang Steffens sicher: „Wir werden dieses Jahr den Stoff nicht 1:1 vermitteln können.“ Auf der anderen Seite seien etliche Schüler auch selbstständiger und selbstsicherer geworden.

Die Hauptschule Wichlinghausen hat hingegen noch kein einziges Leihgerät erreicht. Viele Schüler haben dort jedoch sowieso keinen Internetanschluss. Die Lehrer arbeiten sehr engagiert, um sie trotzdem zu erreichen. Ähnlich wie an der Hauptschule St. Laurentius werden Pakete mit Arbeitsblättern geschnürt.

„Viele Kinder sind jedoch mit den Aufgaben überfordert, weil sie sich das selbst erarbeiten müssen“, meint Schulleiterin Manuela Tischinger. Trotz hoher Motivation schaffen die Kinder neue Themen wie Bruchrechnen oder Division einfach nicht ohne intensive Begleitung durch die Lehrer. Tischinger hat große Bedenken, ob diese Kinder ihre Lücken jemals wieder werden schließen können. Sie hofft auf klare Vorgaben des Landes dazu, auch was Förderangebote in den Ferien betrifft.

Um Kinder und Eltern dafür zu motivieren, wäre eine Kombination von Lernen und Freizeitangeboten sinnvoll. Doch dafür fehlt das Geld. Außerdem wünscht sie sich baldigen Präsenzunterricht. Auch wenn das Leistungsniveau der Schüler dann sehr unterschiedlich sein wird, können die Lehrer im direkten Gespräch mehr vermitteln als nur über Arbeitsanweisungen.

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