Heiko Schnickmann erinnert an Philipp Nell Der Pfarrer kämpfte gegen die Trunksucht

Nächstebreck · Vor 145 Jahren bekam Nächstebreck seine erste evangelische Kirchengemeinde. Ab 1881 leitete Pfarrer Philipp Nell 39 Jahre lang die Geschicke der Gemeinde. Er hat umfangreiche Memoiren geschrieben, die Heiko Schnickmann für das Nächstebrecker Jahrbuch gelesen und zusammengefasst hat.

Die Memoiren von Philipp Nell umfassen zwar mehr als 300 Seiten, aber nur auf den letzten zehn Seiten geht er auf seine Arbeit am Hottenstein ein.

Nells Hauptthema Nächstebreck betreffend ist die Trunksucht, die am Hottenstein Einzug gehalten hatte, und die der Pfarrer als „die traurigen Nachwirkungen der Schwindeljahre 1872/1877“ bezeichnet, „welche trotz der großen Bankkrachs und dessen trauriger wirtschaftlicher Folgen so verderbniserregend auf die Moralität der Bevölkerung ihren Einfluss noch ausübten“. Damit spricht Nell, so hat Schnickmann recherchiert, von einer Bankenkrise, „die in der breiten Öffentlichkeit mittlerweile kaum noch präsent ist: dem Gründerkrach der 1870er Jahre“.

Nell beschreibt eindringlich: „Das Wirtshausleben stand in vollem Flor, auf 85 Seelen kam eine Wirtschaft. In Lokalen wurden wahre Orgien gefeiert. Die Jugend war verwildert, ja zum Teil ganz verroht. Fast jeden Sonntag kamen Schlägereien zwischen den leichten Burschen von Hottenstein und denen von Beckacker und Hasslinghausen vor, denen dann Verhaftungen, Gerichtsverhandlungen und Gefängnisstrafen folgten.“ Die jugendlichen Streitlustigen hätten nicht nur mit Fäusten aufeinander eingedroschen, sondern seien mit Knüppeln und Messern aufeinander losgegangen. Nell weiter: „Die Alten machten es nicht besser. Kamen sie von ihren Lieferungen in Barmen, so fühlten sie sich moralisch gezwungen, in jeder Wirtschaft einzukehren. In welchem Zustand sie zu Hause ankamen, kann man sich leicht denken. Mit eigenen Augen habe ich‘s angesehen, wie betrunkene Riemendreher vor der Muhlmann‘schen Wirtschaft von dem Lieferwagen heruntergehoben, ins Lokal geführt und nach eigener Zeit noch schwerer beladen wieder hinaufbefördert wurden.“ Alldem fühlte sich Nell insoweit verpflichtet, als dass er, anders als sein Vorgänger, sich nicht dazu überreden ließ, kirchliche und andere Amtsgeschäfte in den Kneipen vor Ort zu besprechen. Er wollte dem Treiben ein Ende setzen. Leichter gesagt als getan, denn das wohl einflussreichste Mitglied des Presbyteriums war Friedrich Söhngen, seines Zeichens Branntweinfabrikant und der „Herr von Nächstebreck“, wie es Nell beschreibt. Es kam zu vielen Auseinandersetzungen zwischen den beiden, aus denen, so Heiko Schnickmann, letztlich Nell als Sieger hervorging. Söhngen zog sich aus der Arbeit der Gemeinde zurück. Erst auf dem Sterbebett Söhngens soll es zur Versöhnung der beiden Alphatiere gekommen sein.

Das vom Bürgerverein herausgegebene Jahrbuch ist in den Nächstebrecker Geschäften erhältlich.

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