Sprechstunde beim Bandoneon-Doktor

Wie Carsten Heveling dank des Tangos ein einzigartiges Handwerk kultivierte.

Wuppertal. Ist das wirklich C-Dur? Carsten Heveling zieht in seiner Werkstatt mit einem Hebel den Balg eines Bandoneons auseinander. Er spitzt die Ohren: Das Instrument — eine spezielle Ziehharmonika — scheint gestimmt zu sein. Ein Blick auf Druckmesser und Computeraufzeichnung bestätigt die Diagnose: Der Ton sitzt.

Den außerordentlichen Stimmtisch hat der 44-Jährige ebenso wie viele andere seiner Werkzeuge selbst gebastelt — handelsübliche Arbeitsgeräte für seinen Job gibt es nämlich nicht. Heveling hat einen seltenen Beruf: Seit acht Jahren betreibt er eine Bandoneon-Werkstatt. Er ist nach eigenen Angaben einer von zwei Experten, die außerhalb von Argentinien 142-diatonisch-rheinische Bandoneons (siehe Kasten) stimmen und reparieren können.

Deshalb fällt seine Kundenkartei auch international aus: In seinem Regal warten Instrumente aus der Türkei, Südkorea, der Schweiz und Paris auf einen Termin beim Bandoneon-Doktor. Selbst aus Taiwan konnte Heveling einen Patienten gewinnen. Seine Leidenschaft für das ungewöhnliche Instrument hat mit Pina Bausch begonnen.

Die Tanz-Ikone habe in Buenos Aires den weltbekannten Tango-Tänzer Tete Rusconi kennengelernt, erzählt Heveling. Der wiederum habe 1996 dem Ensemble, in dem Heveling damals als Kostümassistent gearbeitet hat, einen Besuch abgestattet. „Tete hat den argentinischen Tango nach Wuppertal gebracht“ — seither ist Heveling für den Tanz Feuer und Flamme.

„Beim Tango kommt man sich sofort auf eine außergewöhnliche Weise nahe“, sagt Heveling, der seit 1998 die Tango-Festivals in der Stadthalle organisiert und selbst leidenschaftlich tanzt. „Wuppertal ist dank des Engagements der Menschen eine Tango-Stadt“, findet er. Allerdings gibt es eine Sache, die ihn am Tango mehr fasziniert als das Tanzen: „Die Musik.“

Der Tango-Walzer „Romance de Barrio“, in dem der argentinische Musiker Aníbal Troilo ein Solo spiele, habe ihn damals auf das Bandoneon gebracht. „Von weichen Klängen bis zur rhythmischen Aggressivität kann das Bandoneon eine unglaubliche Klangvielfalt erzeugen“, sagt Heveling. Zudem sei es das einzige Handzuginstrument, das als Schlaginstrument genutzt werden könne.

So würden junge Argentinier mit Musik auf Bandoneons ihrer Wut und Perspektivlosigkeit Ausdruck verliehen. Da die Instrumente auch in den Tango-Ensembles durch rabiate Spielweise sehr anfällig seien, geht es in der Werkstatt von Wuppertals Bandoneon-Doktor zu wie in vielen Arztpraxen: Man muss lange warten, bis man einen Termin bekommt. Es gibt viel zu tun.

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