Kolumne Sprache schöpferisch - zerstörerisch

Von Ruth Yael Tutzinger, Vorsitzende des Gemeinderates der Jüdischen Kultusgemeinde Wuppertal

Kolumne: Sprache schöpferisch - zerstörerisch
Foto: Fries, Stefan (fr)

Im Anfang war das Wort…“, so beginnt Johannes das 4. Evangelium. Das war so um 40 bis 80n.d.Zt. Wie mag er auf diese Formulierung gekommen sein? Ihm war die Tora (5 Bücher Mose) vertraut. Dort steht im Schöpfungsbericht (1. Mose) vor jedem Schöpfungsakt: „und Gott sprach und es ward..“ Im Talmud-Traktat Pirkei Avot/Sprüche der Väter Abschnitt 5 heißt es: „Durch 10 Aussprüche ist die Welt erschaffen worden…“ Es gibt sehr unterschiedliche Interpretationen des Schöpfungsberichtes, doch hier wollen wir ein wenig über die Macht des gesprochenen Wortes nachdenken. Wir wissen heute, dass die Tiere, die Vögel, ja auch die Fische ihre eigenen Sprachen haben. Sogar die Pflanzen können miteinander kommunizieren, sich unterstützen. Dies dient dem Schutz und Zusammenhalt. Nach dem biblischen Bericht, ebenso nach den Erkenntnissen der Evolution, ist der Mensch das Schlusslicht der Schöpfung. Gott formte ihn aus dem vorher geschaffenen Material in SEINEM Ebenbild. Dazu noch einmal aus den „Sprüchen der Väter,Absch.3,18“: „Geliebt ist der Mensch, denn er wurde nach Gottes Bild erschaffen. Aber größere Liebe war es, dass ihm gesagt wurde, dass er nach Gottes Bild erschaffen worden ist.“

Was bedeutet das nun für die menschliche Sprache? Er/sie muss lernen, Verantwortung zu übernehmen, für jedes Wort, das aus ihrem Munde kommt. Dazu werden sie schon im Garten Eden mit den ersten „fake news“ der Geschichte konfrontiert. Die Schlange sagt nicht ganz die Unwahrheit, verdreht das Verbot Gottes aber so, dass die ersten Menschen prompt darauf herein fallen. (1. Mose 3). Anschließend war das Erschrecken groß und als Gott sie zur Rede stellt, flüchten sie in Ausreden, Adam versucht sogar, Gott eine Mitschuld zuzuschieben — „ das Weib, das DU mir gegeben hast, hat mich verführt..“ Hier schließen sich für uns Menschen die Tore des Paradieses.

Wir haben unsere Freiheit genutzt und uns gegen Liebe und Gehorsam entschieden. Folglich werden wir uns draußen in der Welt in jeder Situation für oder gegen Gott entscheiden müssen, denn ER hat uns in die Verantwortung genommen für diese Welt. Was hat das mit unserer Sprache zu tun? Sehr viel. In fast allen Familien kommt es vor, dass man mal zusammen sitzt und über diejenigen lästert, die gerade nicht anwesend sind. Genau das taten auch Mirjam und Aharon. Sie tratschten über Mosche und seine Frau. Wir nennen dies „laschon ha’ra“- die böse Zunge. Unverzüglich befiel Mirjam ein aussätziger Hautausschlag- sie hatte wohl damit angefangen. Sie musste 7 Tage außerhalb des Lagers verbringen, bis sie durch Mosches inständiges Gebet geheilt wurde. Also der, den sie gekränkt hat, verzeiht und tritt für sie ein. Schon unsere Vorfahren wussten, dass die böse Zunge nicht nur den beleidigt, über den getratscht wird sondern auf den Redenden zurück wirkt. Wir sagen doch auch, wenn wir etwas hören, das wir unmöglich finden, „das stinkt zum Himmel.“ Genau das wird schon hier ausgedrückt. Die innere Fäulnis des Sprechenden dringt für alle sichtbar nach außen und macht das Zerstörerische der Aussage sichtbar.

In Mischle/ den Sprüchen Salomons, die etwa um 450 v.d.Zt. nieder geschrieben wurden, gibt es sehr viele Stellen, die uns ermahnen, wenn wir schon nicht schweigen wollen, dann unsere Worte so zu wählen, dass sie der Erkenntnis und vor allem dem Frieden dienen. Zu vielen Vorgängen können und sollen wir heute nicht schweigen. Immer aber sollen wir unsere Worte mit Bedacht wählen, denn sind sie einmal in der Welt, können wir sie nicht zurück nehmen. Gleichzeitig wird uns gesagt, dass hasserfüllte, bösartige, verleumderische Aussagen unmittelbar ins Verderben führen.

In unserer Informationsgesellschaft werden wirklich konstruktive Gespräche leider immer seltener.

Dafür sind wir in der digitalen Welt umso geschwätziger geworden. Da werden Hassmails und fake news verbreitet, Vorverurteilungen gepostet ohne die geringsten Hemmungen und ohne darüber nach zu denken, dass solches Verhalten für die Betroffenen existenzbedrohend ja vernichtend sein kann. Menschen, die sich so verhalten, merken oft nicht, wie sehr sie selbst verrohen und zum Problem für ein friedliches Miteinander in der Gesellschaft werden.

Vielleicht sollten wir öfter mal das Buch der Psalmen zur Hand nehmen. Z.B. Psalm 37,20 „des Gerechten Zunge spricht Weisheit und lehrt Recht.“ Oder Psalm 34,14ff „..hüte deine Zunge vor Bösem und deine Lippen vor trügerischer Rede … suche den Frieden und jage ihm nach.

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