Interview mit den SPD-Landtagsabgeordneten Bell, Bialas und Neumann „Ohne Finanzhilfen von Bund und Land wird es Wuppertal nicht schaffen“

Wuppertal · Die SPD-Landtagsabgeordneten Dietmar Bell, Andreas Bialas und Josef Neumann im Interview zur Corona-Krise.

 Josef Neumann, Andreas Bialas und Dietmar Bell (v.l., Archivfoto).

Josef Neumann, Andreas Bialas und Dietmar Bell (v.l., Archivfoto).

Foto: Fischer, A. (f22)/Fischer, Andreas (f22)

In Zeiten der Pandemie stehen die Bundesregierung und die Regierungen der Länder im Blickpunkt der Öffentlichkeit. Die SPD-Landtagsabgeordneten Dietmar Bell, Andreas Bialas und Josef Neumann weisen darauf hin, wie wichtig gerade jetzt die Arbeit der Opposition als Korrektiv ist.

Wie erleben Sie die Krise als Landtagsabgeordnete?

Josef Neumann: „Das übertrifft alles, was ich vorher kannte. Wenn man aktuell gesundheitspolitischer Sprecher seiner Partie ist, dann stürzt auf einen vieles ein. Es gibt große Ängste, aber auch große Erwartungen der Menschen. Der Druck von außen ist enorm. Ich denke, die nächsten zwei Jahre wird unsere Realität nicht mehr so sein, wie wir sie kannten. Das zu vermitteln, wird nicht einfach sein.

Nicht alle Veränderungen müssen negativer Natur sein. Es ist ja auch bisher nicht alles optimal gelaufen. Sollte man nicht jetzt über die Zahl der Pflegekräfte und deren Bezahlung nachdenken oder über die Probleme durch die Privatisierung im Gesundheitswesen?

Andreas Bialas: Im Bereich der Kulturschaffenden gibt es aktuell ebenfalls einen Überbietungs-Wettbewerb, was man wann wieder machen kann. Das Problem ist, dass die Leute, bevor sie diese historische Situation durchdringen, sich mit Heilsversprechen überbieten. Auf der einen Seite sollte man den Menschen Mut machen, sie aber nicht in völlig irreale Situationen hinein laufen lassen. Man muss doch kein Prophet sein, um vorherzusagen, dass, bevor es einen Impfstoff geben wird, kein Fußballspiel mehr in einem vollbesetzten Stadion stattfinden wird. Oder dass wir in ein vollbesetztes Theater oder Kino gehen oder ein Stadtfest feiern. Wir müssen sehen, was kann wann und wie wieder anlaufen und zu welchem Zeitpunkt können wir das fördern. Und es hilft auch nicht, zu einem falschen Zeitpunkt alles an Geld für Hilfen rauszupulvern. Wir reden nicht vom Mai oder von drei Wochen, sondern von 15 bis 18 Monaten, bis sich alles wieder normalisiert haben könnte.

Wir sind bereits seit einigen Wochen in dieser Situation. Ist es da nicht wünschenswert, dass Menschen beraten, wie es nach der Pandemie weitergehen sollte?

Dietmar Bell: Ich bin Vorsitzender der Enquete-Kommision zur digitalen Transformation. Zwei Wochen bevor der Abschlussbericht mit 250 Seiten vorgelegt werden sollte, kam der Lockdown durch Covid-19. Alles, was wir bisher erarbeitet haben, taugt jetzt nur noch als Vorkapitel. In den kommenden Monaten werden sich Arbeitskulturen verändert haben. Um zu ihrer Frage zurückzukommen: Als gelernter Krankenpfleger bin ich sehr gespannt, ob dem Klatschen vom Balkon auch konkrete Schritte in diese Richtung zur Aufwertung des Berufes folgen.

Bialas: Parallel sehen wir dazu, dass von der FDP der neoliberale Geist als Glücksbringer zum Ankurbeln für die Wirtschaft belebt wird. Die Steuern runter, die Auflagen runter, Bürokratie weg. Der entfesselte Markt, der uns diese Situation im Gesundheitsbereich gebracht hat, ist jetzt wieder das große Heilsversprechen. Und wenn man dem nach dem Mund redet, dann erübrigt sich die Hoffnung auf einen Umbau des Gesundheitssystems und der Wunsch nach fairer Bezahlung.

In der Krise werden schnelle Lösungen gefordert, Diskussionen über die Wahl der Mittel oft als störend empfunden. Der FDP-Landtagsabgeordnete Marcel Hafke hat sinngemäß in einem WZ-Interview gesagt, dass Städte wie Wuppertal, bevor sie nach finanziellen Hilfen von Bund und Land rufen, erst einmal eigene Ideen für höhere Einnahmen entwickeln sollten. Wie beurteilen Sie diesen Ansatz?

Josef Neumann: Das ist ein Denken von gestern. Spätestens seit Corona muss klar sein, dass eine Kommune, die mehr Ausgaben hat in vielen Bereichen, wirklich nicht an ihrer finanziellen Not schuld ist. Der Stadt die Schuld für ihre Lage zu geben, ist eine Form von Neoliberalismus und Sozialdarwinismus, die ich überwunden glaubte.

Bell: Von diesen Aussagen waren wir geschockt. Marcel Hafke hat nicht nur widersprüchlich argumentiert, sondern auch den Konsens der Bergischen Abgeordneten aufgekündigt. Wir hatten über zehn Jahre - seit der Debatte zum Stärkungspakt - den Konsens mit einem pragmatischen Blick auf die Finanzsituation der drei Bergischen Städte. Im Grunde sagt er, Wuppertal solle nicht immer jammern über die eigene Situation. Ich halte das für eine fahrlässige Argumentation. Dass Wuppertal weitere Anstrengungen unternehmen muss, ist unstrittig, aber den vielen Akteuren, die seit Jahren intensiv an der Konsolidierung arbeiten, zu signalisieren, wir können und wollen nicht helfen, wie ihr es erwartet, finde ich bedenklich. Wir sind als SPD eingebunden in Gespräche und werden uns dafür einsetzen, dass die Städte weiterleben können nach der Pandemie. Wenn danach alles kaputt ist, was die Lebensqualität ausmacht, und das Gefälle zwischen reichen und armen Städten wieder riesig groß wird, dann tun wir diesem Land keinen Gefallen.

Marcel Hafke hat vorgeschlagen, Steuern zu senken und damit neue Unternehmen in die Stadt zu holen. Kann das funktionieren?

Bell: Hafke will die Gewerbesteuer senken und gleichzeitig ein kommunales Investitionsprogramm auflegen. Für wie dumm hält er ihre Leser? Ein bißchen mehr Seriosität und mehr Sorge um seine eigene Stadt kann man von einem stellvertretenden Vorsitzenden der FDP-Landtagsfraktion an dieser Stelle erwarten. Der Stadtkämmerer Johannes Slawig rechnet mit finanziellen Belastungen von 150 Millionen Euro für Wuppertal durch die Pandemie. Auf Landesebene muss finanziell nachgebessert werden, das ist eben so.

Bialas: Die Ungleichheit der Lebensverhältnisse in den Städten bewirkt zum Beispiel, dass Feuerwehrleute nach Düsseldorf abwandern. Das große Problem ist, wir kriegen keine Solidarität der Kommunen hin. Je nachdem, wer das Geld gerade zu verwalten hat, der kann sich bestens bedienen. Und deswegen ist es ein ständiger Kampf. Und deshalb ist es so wichtig, dass wir über Jahre im Bergischen diesen Konsens hatten. Die nächste Frage wird sein, wie geht es nach dem Stärkungspakt weiter? Wie werden wir nach der Pandemie wieder starten, wo gibt es Geld? Der Altschuldenfonds ist nicht vom Tisch. Es geht nicht darum, dass wir uns in Wuppertal überbieten und am Ende sagen, den Schwarzen Peter hat die Stadt. Wir müssen - egal von welcher Partei - vor dieser Stadt stehen.

Was ist Ihr Lösungsansatz?

Bell: Hafke hat den Altschuldenfonds abgeschrieben, wir tun das nicht. Wir müssen die Einnahmeverluste, die die Kommunen unverschuldet zu verzeichnen haben, ausgleichen, sonst sind alle Anstrengungen der letzten zehn Jahre für die Katz. Wir werden jetzt gemeinsam für eine vernünftige Lösung für die Kommunen kämpfen müssen. In 15 Monaten werden wir uns sonst fragen, haben wir noch freiwillige soziale Leistungen, haben wir noch eine freie Kulturszene, haben wir überhaupt noch kommunale Kultur und so weiter. An diesen Rettungsschirmen ziehen tausende Leute, aber wer sich jetzt nicht dafür stark macht, wird seiner Verantwortung für Wuppertal nicht gerecht. Aufgabe der Politik ist es, kommunale Strukturen zu schützen.

Bialas: Das Modell Monheim mit massiven Gewerbe-Steuersenkungen funktioniert nur, wenn es nicht alle wie Monheim machen und alle ihre Steuern senken.

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