Begrabt mein Herz in Wuppertal Später Spießer werden hätte auch gereicht

Uwe Becker über Erziehungsarbeit im Netz und schlecht verputzte Wände.

 Uwe Becker ist Chefredakteur des Satiremagazins Italien und Mitarbeiter des Magazins Titanic. Jeden Mittwoch schreibt er in der WZ über sein Wuppertal.

Uwe Becker ist Chefredakteur des Satiremagazins Italien und Mitarbeiter des Magazins Titanic. Jeden Mittwoch schreibt er in der WZ über sein Wuppertal.

Foto: Joachim Schmitz

Sie lesen gerade meine 151. Kolumne. Ich weiß das, weil ich alle Dateien von Anfang an datiert und durchnummeriert habe. Ich denke nicht, dass ich Ihnen jetzt ein Geheimnis verrate, da sich ja jeder denken kann, dass man seine literarischen Arbeiten kennzeichnet, damit man bei Bedarf schnell auf ein bestimmtes Dokument zugreifen kann. Zahlen begegnen uns ja allerorten.

Mein Kollege, der Schriftsteller H.P. Daniels, schrieb kürzlich auf Facebook: „Auf einer Hauswand sah ich heute in riesigen Ziffern geschrieben: 1933. Sonst nichts. Und ich fragte mich, wie das gemeint war? Als Warnung? Oder als Drohung?“ Ein ernstes Thema. Ich muss gestehen, mein erster Gedanke war, dass es sich bei dieser Zahl auch um die Sparkassen-Pin von Bernd oder Björn Höcke handeln könnte – Smiley!

Es wird Sie nicht erstaunen, dass die Vorkommnisse bei der Wahl zum Ministerpräsidenten in Thüringen mich erschüttert haben. Daher bin ich sehr gespannt, welchen Kandidaten die FDP uns hier in Wuppertal für die Oberbürgermeisterwahl anbieten wird. Die Wuppertaler Liberalen wollen den Namen aber erst am 29. März um 17 Uhr bekanntgeben – mein Wecker ist gestellt. Ich hoffe, dass die Partei von Hans-Dietrich Genscher keinen Bewerber auswählt, mit dem Stimmen am rechten Rand gefischt werden sollen. Es bleibt spannend.

Ebenfalls auf Facebook sah ich kürzlich einen Film über den unabhängigen OB-Kandidaten Panagiotis Paschalis, in dem dieser seine politischen Ziele erläuterte. Der Film wurde auf dem Gelände von Utopiastadt am Mirker Bahnhof und im dortigen Café Hutmacher gedreht. Wie frech, böse und verletzend sich mittlerweile einige Bürger auf diesem Portal äußern, ist schon unglaublich. So schrieb ein User in die Kommentarspalte unter Paschalis’ Video: „Diese Hipster-Arschlöcher von Utopiastadt. Nein danke.“ Der junge Mann schrieb des Weiteren, dass es im Mirker Bahnhof so aussehen würde, wie „Köln 1945“ – er meinte wohl das Café Hutmacher. Und der Bahnhof müsste daher wieder in die Hand der Deutschen Bahn übergehen.

Das war der Moment, in dem ich mich als besorgter Bürger einmischen musste. Ich versuchte dem jungen Mann zu erklären, dass beispielsweise der völlig verwahrloste Bahnhof in Unterbarmen sich in der Hand der Deutschen Bahn befände, und der sähe ja ziemlich schick aus. Dies war natürlich ironisch gemeint, weil sich in diesem dreckigen Loch selbst Ratten nicht mehr wohlfühlen. Ich habe mich schon etwas erschrocken, als ich erfuhr, dass dieser schlecht erzogene Bursche anscheinend Mitglied der Jusos in Wuppertal ist.

Ich war vor 50 Jahren ebenfalls Mitglied der Jugendorganisation der SPD, aber solche Leute waren damals nicht in unseren Reihen. Ich finde das Café Hutmacher übrigens richtig schön. Ich denke mal, dem vorlauten Knilch von den Jungsozialisten missfällt, dass in diesem Café die Wände nicht ordentlich verputzt und tapeziert wurden. Und der Tresen aus vielen echten Büchern gebaut wurde. Das ist natürlich Geschmackssache, aber sich darüber so aufzuregen und zusätzlich die engagierten Unterstützer und freiwilligen Helfer von Utopiastadt als Hipster-Arschlöcher zu bezeichnen, das ist schon unerhört. Schlimm, dass ein Juso so früh schon zum Spießer geworden ist. Später hätte ja auch gereicht – aber egal.

Als ich vor vielen Jahren meine erste eigene Wohnung am Briller Viertel bezog, waren die Gemäuer auch unbehandelt, hatten kleinere und größere Löcher und alte, bräunliche Tapetenreste aus vergangenen Jahrzehnten hingen traurig an den Wänden. Ich war von diesem Anblick überwältigt. Alles war mega melancholisch und düster. Die kleine Wohnung hatte diesen morbiden Charme des Verfalls, dessen Faszination ich mich damals nicht entziehen konnte.

Mein erster Gedanke war, nicht zu renovieren – alles so zu belassen, wie ich es vorfand. Mir fehlte aber in jungen Jahren leider der Mut, mich gegen alle Widerstände der Eltern und Nachbarn durchzusetzen. Es wurde am Ende dann, zur großen Freude meiner Mutter, alles sauber, ordentlich renoviert. Die Wände wurden mit einer Raufasertapete beklebt und weiß gestrichen. Allerdings habe ich die Wohnung dann zu guter Letzt doch kaputt gewohnt. Nach zwei Jahren sah sie im Grunde wieder genau so aus, wie bei der ersten Besichtigung.

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