So kommt Medizin in den Menschen

In Wuppertal entwickelt Bayer Medikamente für die ganze Welt. Und zwei Apotheker kümmern sich darum, dass die Mittel auch sinnvoll eingenommen werden können.

Wuppertal. Mund auf, Tablette hinein, Wasser hinter, schlucken, fertig. So einfach ist das. Aber bis es so einfach ist, vergehen zehn und mehr Jahre. Und am Ende steht die Frage, wie das Medikament am Besten in den Körper kommt. Formulierung nennen Fachleute das, Pillendrehen trifft es auch, zumindest für Tabletten. Zwei, die sehr genau wissen, wie das geht, arbeiten seit 20 Jahren zusammen unter dem BayerKreuz. Andreas Ohm und Klaus Benke haben bereits zahllosen Medikamenten den Weg in den Körper des Patienten geebnet, sei es flüssig als Injektion, weich als Salbe, als Zäpfchen oder in Form von Tabletten. Und meistens steckt dahinter viel Wissen und noch mehr Tüftelei.

„Wenn sich ein Wirkstoff nicht auflöst beispielsweise, müssen wir uns etwas einfallen lassen“, sagt Andreas Ohm (61). Er ist der Chef der Formulierer und kam vor zwei Jahren mit ein paar Kollegen aus Berlin nach Wuppertal. Hier hat Bayer die Medikamentenentwicklung konzentriert. Das Medikament löst sich inzwischen auf. Granulate, Enzyme und ein paar andere Finessen der Chemie helfen dabei. Nun kann das Mittel vermarktet werden und im Körper der Patienten seinen Dienst tun. Vielleicht ist der eingangs erwähnte Begriff Pillendrehen doch ein bisschen zu unhöflich für die Arbeit, die Ohm, dessen Stellvertreter Klaus Benke (57) und einige Hundert Mitarbeiter leisten. Früher sind Substanzen zwar wirklich zu Kügelchen gedreht worden, aber diese Zeiten sind graue Vorvergangenheit. Heute ist das Formulieren von Wirkstoffen eine Wissenschaft für sich. Von ihr hängt ab, ob ein Medikament jemals seinen Nutzen entfalten, also dem Menschen Helfen und Bayer Healthcare Umsatz bescheren kann.

Klaus Benke erinnert sich an einen Saft, den sie so herrichten sollten, dass er einnehmbar ist. „Der war so bitter, den konnte niemand schlucken.“ Jetzt geht es. Die Formulierer haben den bitteren Wirkstoff zu Kügelchen gefriergetrocknet und jedes einzelne dieser höchstens Stecknadelkopf-großen Kügelchen mit einem süßen Mantel umhüllt. Nun ist der Saft mit dem Wirkstoff genießbar.

Eines der berühmtesten Medikamente aus der Medizinküche von Bayer ist der Blutdrucksenker Adalat. Das Mittel ist seit mehr als 40 Jahren auf dem Markt. „Und trotzdem arbeiten wir weiter daran“, erklärt Ohm. Ziel allen Forschens und Entwickeln ist demnach, dass es der Patient möglichst einfach hat. Anfangs gab es Adalat flüssig als Kapsel, die ersten Tabletten mit dem Wirkstoff Nifedipin mussten viermal am Tag eingenommen werden, das bedeutete auch nachts. Der nächste Schritt waren zwei Einheiten pro Tag, heute ist es eine. Und immer sind die Formulierer an diesen Komfort-Fortschritten beteiligt gewesen. Ihnen ist es gelungen. Tabletten zu entwickeln, die den Wirkstoff über den Tag verteilt langsam, aber zuverlässig abgeben.

Dafür bedienen sie sich einer Methode, die ein Konkurrenzunternehmen erfunden hat. Dass Ohm und Benke diese Idee als genial bezeichnen, zeigt, dass es unter Forschern und Entwicklern sportlich fair zu geht. Die geniale Tablette hat ein Loch in der Mitte, es wird per Laserstrahl gebohrt, damit es immer haargenau dieselben Maße hat. Die Tablette selbst ist nun nur noch Behälter — aus Plastik. „Sie wird über den Verdauungsprozess ausgeschieden“, erklärt Benke. Tabletten gibt es in allen Formen, Farben und Variationen. Es gibt Tabletten innerhalb von Tabletten, es gibt sie je nach Menge des benötigten Wirkstoffes in groß und in klein. Es gibt Tabletten für den asiatischen und den europäischen Markt, US-Amerikaner arbeiten mit anderen Packungsgrößen als Europäer, auf Afrikaner wirken Medikamente womöglich anders als auf Chinesen.

Auf all das müssen die Pharmazeuten und Formulierer achten, all das muss überprüft, getestet und noch einmal überprüft werden. Studien mit 50 000 Probanden in aller Welt sind eher die Regel als die Ausnahme. Sicherheit ist das Wichtigste, und sie wird von den Behörden auch eingefordert. Das erklärt, warum der Weg von der Wirkstoffkombination, also der Rezeptur eines Medikamentes, bis in die Regale der Apotheken zehn und mehr Jahre dauern kann. „Das ist auch ein wirtschaftliches Risiko. Die Entwicklung eines Medikamentes kann Hunderte von Millionen Euro kosten. Und am Ende stellt sich heraus, dass es nichts taugt, oder dass es auf den wichtigsten Märkten nicht zugelassen wird“, erklärt Klaus Benke. In der Summe haben die Medikamenten-Köche und die Medizindesigner von Bayer in Elberfeld und Aprath sehr viel richtig gemacht.

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