Sekten: Endstation Gehirnwäsche

Andrea Kappelmann gehörte zu einer sektenähnlichen Gemeinschaft. Diese sind in Wuppertal keine Seltenheit.

Wuppertal. Es klingt nach einem Alptraum, doch für Andrea Kappelmann war es Realität: Die 49-Jährige geriet 1994 in die Fänge einer esoterischen Lebensberatung, die sich nach und nach zu einer sektenähnliche Gemeinschaft entwickelte. Namen und Details über die Gruppe, die mehrfach umgezogen ist, möchte sie nicht nennen - aus Angst vor Repressalien oder juristischen Folgen. "Ich bin einer Gehirnwäsche unterzogen worden", sagt die ausgebildete Krankenschwester. Für die Lebensberatung habe sie teuer bezahlen müssen.

Doch Kappelmann ist kein Einzelfall: "Es gibt in Wuppertal viele äußerst fundamentalistisch geprägte Gruppen, die versuchen, ihre Mitglieder abhängig zu machen", sagt Synodalreferent Hartmut Kumpf, der mehr als 18 Jahre lang Sektenbeauftragter im Kirchenkreis Wuppertal war, ohne jedoch Namen nennen zu wollen. Auch Heide-M. Cammans, ehemalige Leiterin der Sekten-Info und Autorin im Bereich Sekten, sagt "Wir haben viele Wuppertaler beraten". Besonders der christlich sektiererische Bereich sei im Tal stark verbreitet.

Wie vielen Betroffenen, erging es auch Kappelmann: Am Ende war sie nicht nur ein psychisches Wrack, sondern auch ihre Familie zerstört: Sie und zwei ihrer Geschwister waren von der guruähnlichen Lebensberaterin, die sich als Medium mit übersinnlichen Kräften ausgab, so weit gebracht worden, ihren Vater wegen sexuellen Missbrauchs anzuzeigen. Die Anzeige ging bis zur Staatsanwaltschaft - vollkommen zu Unrecht. "Zum Glück", sagt Kappelmann, die den Ausstieg 2000 mit einer Therapie geschafft hat, "sind die Vorwürfe an der Verjährungsfrist gescheitert." Die Gespräche in der Gruppe seien immer wieder auf den angeblichen Missbrauch gelenkt worden, so dass sich schließlich einige Mitglieder einbildeten, sich an konkrete Szenen zu erinnern und ihre Familien diffamierten.

Die Wunden ihrer eigenen Familie sind tief, auch wenn Kappelmann heute wieder Kontakt zu ihren Eltern hat: Beschämt erinnert sie sich, dass sie Postkarten an Freunde ihrer Eltern geschickt habe, in denen sie ihren Vater als Kinderschänder bezeichnet hat. Immer wieder seien Einzelne vor der Gruppe malträtiert worden. "Einer hatte immer versagt, der wurde dann fertig gemacht", sagt Kappelmann. Tragisch: Ihre Geschwister haben sich nicht von der Gruppe gelöst.

Heute engagiert sich die 49-Jährige in einer Selbsthilfegruppe für Opfer von Sekten, Psychogruppen und esoterischen Bewegungen, hat sich deshalb auch in der Talkshow "Menschen bei Maischberger" geoutet. Mit Elke Leonhardt hat sie die Initiative Schulterschluss gegründet, die sich von Wuppertal aus bundesweit um Opfer und deren Familien kümmert. "Sekten und ähnliche Gruppierungen sind ein Tabu-Thema. Viele Betroffene erfahren Ablehnung und die Angehörigen wissen nicht, wie sie sich verhalten sollen", sagt Leonhardt. Bisher haben sich zirka 50 Menschen aus der Region angeschlossen.

Rückblickend durchschaut Andrea Kappelmann, was ihr widerfahren ist: "Ich war in einer Lebenskrise, meine Ehe kriselte, ich hatte Probleme mit meinem pubertierenden Sohn und Stress bei der Arbeit. In der Gruppe habe ich Selbstbewusstsein gefunden und mich wie in einer Ersatzfamilie gefühlt."

Was ihr zuerst wie "die Hölle" vorgekommen ist, hat ihr letztlich die Rückkehr in ein normales Leben ermöglicht: Als Kappelmann nämlich anfing, Zweifel zu äußern, wurde sie "entsorgt". "Es hieß, ich sei destruktiv, weiterer Kontakt wurde verboten."

Vortrag Einen Vortrag zum Thema "Scientology - Kirche oder Sekte?" hält heute, Donnerstag, um 19.30 Uhr im Saal der Erlöserkirche, Stahlstraße, Pfarrer Andrew Schäfer, Leiter des Rheinischen Landesamtes für Sekten und Weltanschauungsfragen.

Glaubensgemeinschaften In dem "Atlas der christlichen Glaubensgemeinschaften" stellt Ulrich Christenn Wuppertaler Gemeinden vor. Dabei sind auch freikirchlichen Brüdergemeinden und apostolische Gemeinschaften. "Es gibt unter ihnen verschiedene Stränge, bis zu denjenigen, die andere Gemeinschaften komplett ablehnen", sagt Christenn.

Initiative schulterschluss Elke Leonhardt, Telefon 479 49 72.

Sekteninfo NRW Die Beratungsstelle hilft Betroffenen und gibt Einschätzungen über gefährliche Gruppierungen ab, Ruf 0201/23 46 46

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